Interview mit Oberstleutnant André Wüstner. Foto: Bundeswehr/Kraatz/Torsten Kraatz

Interview mit Oberstleutnant André Wüstner. Foto: Bundeswehr/Kraatz/Torsten Kraatz

29.04.2016

Interview mit André Wüstner: Den Finger in die Wunden legen

Der Vorsitzende des Deutschen BundeswehrVerbandes, André Wüstner, fordert im Interview mit der Redaktion der Bundeswehr, dass die Bundesregierung noch in diesem Jahr auf die „Bestelltaste“ drücken muss, um dem Modernisierungsbedarf der Truppe zu begegnen. Das Fenster für politische Entscheidungen schließe sich langsam.

Im Mai 2014 hat der Deutsche BundeswehrVerband die Kampagne „Schlagkräftige Bundeswehr 2020“ gestartet. Wofür stehen der Vorstoß und die kürzlich vorgestellte Ergänzung „Bundeswehr 2020plus“?

Die Bundesregierung hat zu Beginn ihrer Legislatur von einer „zukunftsfähigen Bundeswehr“ gesprochen. Im Koalitionsvertrag wird ein „Nachsteuern“ bei der Neuausrichtung in Aussicht gestellt. Viele Dinge sind allerdings im Nebel gelassen worden. Mit der Kampagne „Schlagkräftige Bundeswehr 2020“ wollten wir als Verband definieren, was wir uns unter Zukunftsfähigkeit und einer schlagkräftigen Bundeswehr vorstellen. Und was zu tun ist, um dieses Ziel zu erreichen. Wir haben viele Vorschläge formuliert und eingebracht. Und wir waren damit, wenn man zum Beispiel an die Agenda Attraktivität und das Artikelgesetz denkt, sehr erfolgreich. Aber es gibt noch viele offene Baustellen. Um jetzt noch einmal nachzulegen, haben wir das Folgedokument „Bundeswehr 2020plus“ vorgelegt. Das Fenster für politische Entscheidungen schließt sich langsam. Sehr schnell sind wir wieder im Wahljahr und dann ist erst einmal Stillstand. Somit wollten wir den Finger in die noch offenen Wunden legen und sagen „Achtung“, in diesen Bereichen muss 2016 noch einmal das Jahr der Entscheidungen werden.

Der Verteidigungshaushalt ist um eine Milliarde Euro erhöht worden. Die Ministerin setzt sich für erhebliche Investitionen in die Ausrüstung der Bundeswehr ein. Kann man von einer Trendwende sprechen?

Wenn man den heutigen Finanzplan mit denen der letzten Legislaturperiode vergleicht, dann kann man sicher von einer Trendwende sprechen. Aber die Ziele, die Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen richtigerweise formuliert hat, nämlich die Modernisierung der Bundeswehr und Investitionen von 130 Milliarden Euro bis ins Jahr 2030, werden mit dem Haushalt 2017 und dem 50. Finanzplan definitiv nicht realisiert werden können. Das ist unser zentraler Kritikpunkt. Die Ansprüche und Anforderungen, die an die Truppen gerichtet werden, spiegeln sich diesbezüglich nicht im Handeln der Bundesregierung wider. Wir verlangen, dass sich die Ministerin sowie die Verteidigungspolitiker nochmal mit aller Kraft für eine weitere Aufstockung einsetzen. Andererseits muss die Regierungskoalition als Ganzes ehrlich sagen, was zukünftig alles wegfällt. Denn nochmal, mit diesem Haushalt wird man vieles nicht finanzieren können, was man eigentlich finanzieren müsste.

Wo sehen sie den größten Modernisierungsbedarf in der Truppe?

Das betrifft zunächst einmal die Infrastruktur – ein leidiges Thema seit Jahren. Das liegt nicht nur an den Mitteln, sondern auch an den Verfahren und der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern. Wir haben immer noch Standorte, in denen Menschen in Baracken Dienst leisten, die sie ab einer bestimmten Windstärke verlassen müssen. Wir haben zum Teil katastrophale Unterbringungszustände, Sporthallen und Schwimmbäder, die über Jahre nicht renoviert oder saniert wurden. Das ist seit Jahren ein Riesenproblempunkt. Und es geht natürlich auch um die Ausstattung und Ausrüstung. Das fängt bei der Interoperabilität an. Die Bundeswehr will die verstärkte Zusammenarbeit mit anderen Nationen, braucht dafür aber beispielsweise auch moderne Funkgeräte. Auch bei der persönlichen Ausstattung, wie zum Beispiel bei Nachtsichtgeräte, Schutzwesten, Kleidung et cetera. besteht noch enormer Handlungsbedarf. Unsere Mitglieder sagen, dass bei ihnen von der Agenda Rüstung nur wenig ankommt. Noch in diesem Jahr muss diesbezüglich auf die „Bestelltaste“ gedrückt werden, damit die Menschen noch in dieser Legislatur die Absicht und den Willen der Ministerin auf ganzer Breite spürbar erfahren.

Die Bundeswehr beteiligt sich aktuell an 16 Auslandseinsätzen. Hinzukommen einsatzgleiche Verwendungen und Übungen. Kann die Truppe das, angesichts des Modernisierungsbedarfs, leisten?

Wir sind definitiv an der Grenze. Ich habe schon einmal gesagt, wir sind gut gebucht und in Teilen sogar überbucht. Das müssen wir alle ehrlich kommunizieren. Die Bundeswehr ist so klein wie nie zuvor. Der Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels kommt auch zu dem Ergebnis, dass es nahezu an allem fehlt. Jeder Einzelne – ob zivile Beschäftigte, Soldat oder Soldatin – versucht, im Einsatz alles zu geben und seinen Auftrag zu erfüllen, egal ob dies in Mali, im Nordirak oder in der Ägäis ist. Aber mit Blick auf die Dauerbelastung sind wir teilweise jenseits der Grenze. Zwar stehen medial oft nur unsere Luft- und Landstreitkräfte im Fokus. Wenn wir aber von Überlastung sprechen, ist die Dimension wesentlich breiter. Beispielsweise blicke ich mit Sorge auf unsere Marine. Dort werden seit Jahren Belastungen geschultert, die sich auf Dauer mehr als kontraproduktiv auswirken werden. Und ob die Menschen, die das jetzt erleben, in ihrem Umfeld zum Weg in die Bundeswehr raten, mag ich zu bezweifeln. Da ich allerdings nicht sehe, dass sich die Anforderungen verringern, brauchen wir eine echte Trendwende bei Material, Personal und damit auch im Verteidigungshaushalt!

 

Die politischen Parteien diskutieren aktuell darüber, den Einsatz der Bundeswehr im Innern auszuweiten. Wie steht der Deutsche BundeswehrVerband dazu?

Wir haben da erst einmal eine klare Abwehrhaltung. Aus gutem Grund schließt das Grundgesetz die pauschale Möglichkeit des Einsatzes der Bundeswehr im Innern, als Art Hilfspolizei, aus. Bei unseren europäischen Partnern sehen wir, welche Auswirkungen es hat, wenn die Politik relativ schnell, teilweise gezwungen, manchmal vielleicht auch unüberlegt, entscheidet, die Streitkräfte dauerhaft in Polizeiaufgaben zu bringen – nämlich der absolute Verlust von Ausbildungshöhe und teilweise sogar der Befähigung zur Ausbildung. Es kann nicht unser Ziel sein, dass wir abseits vom Kernauftrag zusätzlich noch Streifendienst und Objektschutz im Inland betreiben. Gleichwohl sagen wir, müssen sich Regierung und Parlament damit auseinandersetzen, dass wir eine andere Bedrohungslage haben als bei der Gründung der Bundesrepublik. Welche Instrumente hätten wir für welches Szenario zur Verfügung? Wir plädieren im Forderungspapier „Bundeswehr 2020plus“ für eine Überprüfung der Wehrverfassung. Nicht nur was die Grauzone „Einsatz im Innern“ betrifft, sondern insbesondere auch Urteile zum Einsatz unserer Bundeswehr an sich. Grauzonen sorgen für Unsicherheit, wie man beispielsweise bei der Frage zur Notwendigkeit der Mandatierung des Einsatzes im Nordirak erkennen konnte.

  • Thesenpapier der Arbeitsgruppe Verteidigung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion (PDF)

 

Im Sommer dieses Jahres soll die Amtshilfe der Bundeswehr bei der Flüchtlingshilfe weitgehend beendet werden. Lässt sich ein vorläufiges Fazit ziehen?

Die Hilfe der Bundeswehr ist hoch anerkannt. Egal, wo ich hinkomme: Das, was die Soldatinnen und Soldaten und auch die zivilen Beschäftigten leisten, ist wirklich erstklassig. Es besteht sogar die Gefahr, dass andere daraus schließen, „die machen das so gut, am besten machen die das immer.“ Wir müssen darauf bedacht sein, bei der Flüchtlingshilfe zum Ende zu kommen, denn sie hat Auswirkungen auf den Ausbildungs- und Übungsbetrieb und damit auch auf die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr. Die Äußerung der Ministerin im vergangenen Dezember, dass die Bundesländer nach einem Jahr die Aufgaben eigenständig bewältigen sollen, ist absolut richtig und begrüßenswert. Ich bin noch skeptisch, ob der Übergang wie geplant stattfinden wird. Aber das Signal und die Botschaft sind eindeutig und spiegeln auch unsere Forderungen wider.

Im Mai finden im Geschäftsbereich des BMVg Personalratswahlen statt. Warum sollten die Bundeswehrangehörigen ihre Stimme den Kandidaten des Deutschen BundeswehrVerbandes geben?

Weil wir hart und erfolgreich für die Menschen der Bundeswehr arbeiten. Wir sind ein Berufsverband mit rund 200.000 Mitgliedern und einer mittlerweile 60jährigen Geschichte – dieses Jahr ist unser Jubiläum. Mit unseren Mitgliedern und unserem Mitarbeitern entwickeln wir eine enorme Kraft, wenn es darum geht, Forderungen zu formulieren und für die Menschen der Bundeswehr durchzusetzen, für Soldaten ebenso wie für zivile Beschäftigte. Dabei finden wir immer die „gesunde Mitte“. Beispiele dafür sind unter anderem die vielen Verbesserungen der sozialen Rahmenbedingungen, die wir in den letzten Jahren über die Arbeit mit Personalräten und Vertrauenspersonen errungen haben. Das ist alles kein Zufall, sondern harte Arbeit. Ich bin selbst immer wieder überrascht, wie viele unser Mitglieder bereit sind, sich ehrenamtlich und außerhalb der Dienstzeit mit Themen wie Laufbahnrecht, Besoldung oder Betreuung zu befassen.

Die Fragen stellte Florian Stöhr

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