Emotionale Diskussion über Soldatengesetz – darum sind die Neuerungen schlecht!
Berlin. Keine Frage: Der aktuelle Gesetzentwurf ist ein emotionales Thema. Und es ist auch keine Überraschung, dass die Diskussion um die Veränderung des Paragrafen 55 Absatz 5 des Soldatengesetzes (SG) sowie weiterer Bestimmungen der Wehrdisziplinarordnung (WDO) hohe Wellen schlägt.
Vorgestern haben wir an dieser Stelle darüber berichtet, warum die Neuerungen die Soldatinnen und Soldaten objektiv schlechter stellen. Und warum die Begründung von Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer ins Leere läuft. Mittlerweile müssen wir feststellen: Die Kommunikationsstrategie des BMVg scheint aufzugehen. Einhelliger Tenor der Medienberichterstattung: Extremisten und schwere Straftäter sollen schneller aus der Bundeswehr entlassen werden können.
Die Absicht klingt gut – wer könnte dagegen etwas einzuwenden haben? Tatsächlich zeigt die Debatte, beispielsweise bei Facebook: Etliche User schließen sich der Argumentation an, obwohl das Ministerium den Beweis für die Notwendigkeit und Wirksamkeit der vorgeschlagenen Maßnahmen schuldig bleibt. „Bild“ berichtet unter Berufung auf das BMVg, dass im vergangenen Jahr ganze 14 politische Extremisten schneller hätten entlassen werden können, wäre die Neuregelung bereits in Kraft gewesen. Da ist der verbandliche Widerstand schwer nachzuvollziehen, oder?
Eins nach dem anderen.
Selbstverständlich wollen auch wir Extremisten und schwere Straftäter nicht vor irgendetwas schützen, auch nicht vor den dienstrechtlichen Konsequenzen ihres Verhaltens. Uns geht es hier um Grundsätzliches: die Stabilität soldatischer Dienstverhältnisse ab dem fünften Dienstjahr, das dienstliche Verständnis der gegenseitigen Treupflicht und die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes. Freilich reißt der Gesetzentwurf nicht all das vollständig ein, aber er greift das Fundament an – und zwar für alle und auf Dauer. So etwas muss nicht falsch sein, wenn der Bedarf unabweisbar ist, aber genau daran haben wir Zweifel.
Dazu ein paar Zahlen: In den vergangenen vier Jahren (2016 bis 2019) hat die Bundeswehr etwas mehr als 1.300 Soldatinnen und Soldaten auf Zeit nach § 55 Abs. 5 SG in der noch geltenden Fassung fristlos entlassen, darunter rund 70 wegen extremistischer Umtriebe und Reichsbürgertums sowie knapp 30 wegen nicht näher bestimmter Sexualdelikte, im Übrigen eher wegen „normalen“ Fehlverhaltens von der eigenmächtigen Abwesenheit über die mehrfach unterlassene Krankmeldung, die außerdienstliche Trunkenheitsfahrt und den BtmG-Verstoß bis hin zum missglückten Partyscherz im Unterkunftsgebäude.
Im selben Zeitraum wurden in der gesamten Bundeswehr nur 24 Personen nach Abschluss eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens aus dem Dienstverhältnis entfernt. Von diesen 24 waren keine zehn Soldatinnen und Soldaten zwischen dem fünften und dem achten Dienstjahr. Und diese maximal zehn sind das Potenzial – über volle vier Jahre! – für den Anwendungsbereich des „neuen“ § 55 Abs. 5 SG, denn das BMVg hat sich schon in der Begründung zum Gesetzentwurf festgelegt: Als besonders schwerer Fall gilt nur, wer auch im Rahmen eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens entfernt werden würde. Rund zwei bis drei Fälle im Jahr also. Und die bringen die Wende im „Kampf gegen rechts“?
Nein, natürlich nicht, und so ist die Neuregelung auch nicht wirklich gemeint, was man auch an den Zahlen sieht, die das BMVg „Bild“ gemeldet hat: Man will früher, häufiger und härter zuschlagen, gegen andere, und das ohne den lästigen Umweg über die Gerichte. Ginge es nur um die Verfahrensdauern, wäre es ein leichtes, die paar Entfernungen jährlich zu beschleunigen.
Fakten schaffen auf Verdacht
Es geht in Wahrheit darum, auf Verdacht Fakten zu schaffen, bevor die „Schuld“ und deren Schwere von unabhängiger Seite festgestellt ist – denn fristlos entlassen wird allein von der zentralen Personalführung auf Basis der dort gewonnenen „Überzeugung“, bei unerfreulicher Medienlage gerne auch innerhalb von wenigen Tagen (vgl. Pfullendorf 2017, Teilkomplex „Aufnahmerituale Mannschaftssoldaten“). Wem das nicht passt, der kann im Anschluss (und dann in zivil) vor das Verwaltungsgericht ziehen, und bekommt er oder sie dort Recht – frühestens nach einem Jahr, regelmäßig deutlich später – darf er oder sie wieder mitmachen, freilich ohne echte Schadlosstellung.
Dabei wird gerne übersehen, dass das praktisch niemand durchhält: Wer fristlos entlassen wird, steht von einem Tag auf den anderen ohne Bezüge oder sonstige Ansprüche auf der Straße, es bleibt allein die Nachversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung. Wer kann sich da leisten, ein teures Verfahren zu führen und auf den Ausgang der gerichtlichen Überprüfung zu warten – und wer hat im Anschluss überhaupt noch Interesse daran, seine „Karriere“ bei der Bundeswehr fortzusetzen?
Tatsächlich zeigen die oben aufgeführten Zahlen, dass die bestehende Systematik mit der Möglichkeit zur fristlosen Entlassung innerhalb der ersten vier Dienstjahre ein ausgesprochen gut funktionierender „Vorfilter“ ist: Die sehr geringe Zahl an Entfernungen ab dem fünften Dienstjahr belegt eindrücklich, dass es sich dabei um „Ausreißer“ handelt. Klar: Jeder einzelne ist einer zu viel, aber jährlich rund sechs aus rund 130.000 (Soldatinnen und Soldaten mit mehr als vier Jahren Dienstzeit) sind kein Hinweis auf ein grundsätzliches Problem. Und es rechtfertigt keinesfalls, die Rechtsposition aller zu verschlechtern.
In vergleichbarer Weise trifft auch die im Gesetzentwurf vorgeschlagene Änderung von § 24 Abs. 1 WDO – die Verdoppelung des Rahmens für die Disziplinarbuße – früher oder später alle Soldatinnen und Soldaten, denn selbstverständlich orientieren sich Disziplinarvorgesetzte bei der Zumessung der Bußen am gesetzten Rahmen. Wo ein Verstoß gegen die „Zwei-Dosen-Regelung“ im Auslandseinsatz heute leicht 2.000 Euro kostet (selbst bei einem Mannschaftssoldaten regelmäßig weniger als die Hälfte der monatlichen Bezüge im Einsatz), dürften es absehbar 4.000 Euro werden. Ist das sinnvoll? Hat jemand ernstlich Zweifel daran, dass auch die heute verhängten Bußen wehtun und damit „wirken“?
Unsere jahrzehntelangen Erfahrungen in der Mitgliederberatung zeichnen ausnahmslos ein anderes Bild, und tatsächlich ist hier kein einziger Fall bekannt, in dem der bestehende Rahmen von einem Monatsbezug auch nur annähernd ausgeschöpft wurde. Es gibt schlicht keinen Bedarf für diese Anpassung, und eine „Erweiterung der Handlungsmöglichkeiten für Disziplinarvorgesetzte“ ist zwar grundsätzlich begrüßenswert, aber kein Selbstzweck.
Wir bleiben deshalb bei unserer Ablehnung der vorgeschlagenen Änderungen und werden auch weiterhin dafür kämpfen, dass der Entwurf in dieser Form nicht zum Gesetz wird. Ein Kabinettbeschluss ist nicht das Ende, sondern der Beginn des Verfahrens. Wir bleiben dran – für die Interessen der Menschen der Bundeswehr!