Debatte um Wehr- und Dienstpflicht - „Ein nettes Sommerloch-Thema!“
Berlin. Das Thema taucht mit schöner Regelmäßigkeit auf, in den vergangenen Jahren war es immer der Reservisten-Verband, der die die Debatte um eine Wehr- und Dienstpflicht auf die Tagesordnung setzte, dieses Mal war es CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer. Nach ihrer Tour an die Partei-Basis im ersten Halbjahr erklärte sie jetzt, sie wolle über eine „allgemeine Dienstpflicht“ sprechen. Das Thema soll eine wichtige Rolle in der Debatte um ein neues CDU-Grundsatzprogramm spielen, ein Beschluss könnte schon beim CDU-Parteitag im Herbst fallen. Kramp-Karrenbauer ließ offen, wie genau ein solcher Dienst aussehen könnte, auf Twitter schrieb sie: „Es gibt viele Möglichkeiten, einen Dienst zu gestalten.“
Wenig überraschend in der nachrichtenarmen Zeit: Die Debatte schlug hohe Wellen, das Thema war Aufmacher der Tagesschau am Sonntag, jede Menge Experten meldeten sich zu Wort. Doch angesichts der rechtlichen Situation und der aktuellen Struktur der Bundeswehr ist mehr als unwahrscheinlich, dass neue Dienste eingeführt werden.
Für den stellvertretenden Bundesvorsitzenden Oberstabsfeldwebel a.D. Jürgen Görlich ist klar: „Es ist gut, wenn über die Bundeswehr gesprochen wird - auch im Kontext der Wehrpflicht. Wer es aber ernst meint mit der Einsatzbereitschaft der Bundeswehr, muss sich mit ganz anderen Themen auseinandersetzen.“
Wer die Bundeswehr wieder einsatzbereit machen wolle, so Görlich, der „erreicht das nur durch Investitionen in das Material einerseits und Anpassungen des Dienst- und Laufbahnrechts andererseits. Wir benötigen Vollausstattung und qualifiziertes Personal, um die Aufträge zu erfüllen, die uns die Politik aufgibt. Die Wehrpflicht ist für die Bundeswehr von heute – zumal nach den Vorgaben des Weißbuchs - ohne militärische Bedeutung.“ Jeder müsse zudem wissen, dass die Bundeswehr in der sogenannten Neuausrichtung alle Strukturen beseitigt habe, die für eine Wehrpflichtarmee notwendig waren. „Diese lassen sich nicht mal eben so wieder aufbauen. Wer das will, muss sehr viel Geld in die Hand nehmen.“ Unterm Strich, sagte Görlich abschließend, sei es „ein nettes Sommerloch-Thema“.
Zuspruch erhielt Annegret Kramp-Karrenbauer aus der CDU. „Wir brauchen die Wehrpflicht, und sie soll für Männer und Frauen gelten“, sagte der Bundestagsabgeordnete Patrick Sensburg in der „FAZ“. Es solle ein verpflichtendes Jahr geben, „und wer nicht zur Bundeswehr geht, kann es anderswo ableisten“. Angesichts einer unsicheren Weltlage sei die Wehrpflicht „für die ureigene Aufgabe einer Armee, die Verteidigung des eigenen Landes“ unabdingbar.
Auch der Abgeordnete Oswin Veith, zugleich Vorsitzender des Reservistenverbandes, machte sich für eine allgemeine Dienstpflicht stark. „Sie soll zwölf Monate dauern und für junge Männer und Frauen über 18 Jahren gelten“. Die Wahlmöglichkeiten für den Dienst sollten von der Bundeswehr über das Technische Hilfswerk bis zu Diensten in der Gesundheitsversorgung und der Pflege gelten und ordentlich besoldet werden. Der „BamS“ sagte Veith: „Wir stellen uns vor, dass sich junge Männer und Frauen ab 18 mindestens ein Jahr in der Pflege oder in den Streitkräften engagieren oder sich verpflichten, für mehrere Jahre eine Blaulichtorganisation wie das Deutsche Rote Kreuz oder das Technische Hilfswerk zu unterstützen. In Teilen könnte dieser Pflichtdienst sogar unabhängig von der Staatsbürgerschaft angeboten werden.“
Partei-Vize Thomas Strobl argumentierte: „Es geht mir um die Chance für junge Menschen, nach der Schule und vor der eigentlichen Arbeit etwas besonders Sinnstiftendes in der Welt getan zu haben und dabei die Welt ein bisschen kennen zu lernen. Das könnte für viele junge Frauen und Männer unheimlich gewinnbringend sein, ein Abenteuer, eine Schule des Lebens.“
Unterstützung kommt zudem von der Jungen Union und der Mittelstandsvereinigung der Union.
Auch in der SPD gibt es Sympathie für die Überlegungen. „Wir müssen eine gesellschaftliche Debatte darüber führen, ob wir auf dem heutigen Weg, die Bundeswehr möglichst attraktiv zu machen, tatsächlich die Personalzahlen erreichen, die wir für die Landes- und Bündnisverteidigung brauchen", sagte der Obmann der SPD im Verteidigungsausschuss, Fritz Felgentreu. SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sagte: „Ich finde den Gedanken grundsätzlich nicht falsch. Weil die Union damals die Wehrpflicht überstürzt abgeschafft hat und damit auch der Zivildienst wegfiel, fehlen in vielen sozialen Einrichtungen diese Kräfte. Wir werden das jetzt intensiv diskutieren und sehen, ob es eine Mehrheit in der Bevölkerung gibt.“
Widerspruch kommt ausgerechnet vom verteidigungspolitischen Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Henning Otte. „Eine allgemeine Wehrpflicht alten Zuschnitts hilft uns bei den aktuellen sicherheitspolitischen Herausforderungen nicht weiter“, sagte Otte der „dpa“. „Im Vordergrund muss eine leistungsfähige Bundeswehr stehen. Dafür brauchen wir motivierte junge Menschen, die längere Zeit bei der Truppe bleiben und komplexe Technik bedienen können. Diese brauchen Karriereperspektiven, angemessene Vergütung und vor allem gesellschaftliche Anerkennung.“
Ein anderes Thema sei eine allgemeine Dienstpflicht für Männer und Frauen, beispielsweise in sozialen Bereichen oder bei der Feuerwehr, sagte Otte. „Dadurch könnte sich ein stärkeres Bekenntnis zu unserem Land entwickeln und der gesellschaftliche Zusammenhalt gestärkt werden. Juristisch sehe ich hier noch grundgesetzliche Hürden, die beseitigt werden müssten. Aber dieses Thema ist die Prüfung wert.“
Skeptisch äußerte sich der Wehrbeauftragte des Bundestags, Hans-Peter Bartels. Bei einer „allgemeinen Dienstpflicht" für Männer und Frauen gebe es massive verfassungsrechtliche Probleme, sagte Bartels. „Eine allgemeine Dienstpflicht ist zwar eine sympathische Idee, stößt aber verfassungsrechtlich an eine Grenze. Es gilt das Verbot der Zwangsarbeit.“
Die stellvertretende FDP-Vorsitzende Marie-Agnes Strack-Zimmermann twitterte, die Wiedereinführung der Wehrpflicht wäre ein „trauriger Versuch der Union, ihre Hilflosigkeit in Sachen Bundeswehr zu vertuschen". Statt einer Wehrpflicht sei beispielsweise eine Reform des Beschaffungswesens für Ausbildung und Material nötig.