Afghanische Sprachmittler vor einer ungewissen Zukunft
Aktuell wollen Zehntausende Afghanen, die für die Streitkräfte der Nato-Länder, darunter die Bundeswehr, tätig waren, samt ihren Familien aus Angst vor Racheaktionen der Taliban das Land verlassen. Wohl kaum einer dürfte auf die jüngsten Aussagen der Taliban vertrauen. Erst gestern riefen die militant-islamistischen Taliban die Ortskräfte der ausländischen Streitkräfte dazu auf, im Land zu bleiben. Ihnen und ihren Familien würden keine Rache- oder Vergeltungsaktionen drohen, solange sie „für ihre vergangenen Handlungen Reue zeigen“ – Handlungen wie beispielsweise die Aufgaben als militärischer Sprachmittler der Bundeswehr, ohne die ein Auslandseinsatz in Afghanistan kaum möglich wäre.
Unter schwierigen Bedingungen leisten sie einen unverzichtbaren Beitrag zum Gelingen der Einsätze und haben im Aufgabenspektrum der Bundeswehr eine zentrale Rolle inne. Das weiß man im BMVg ganz genau. Doch nun neigt sich der Nato-Einsatz in Afghanistan dem Ende zu. Auch die Bundeswehr zieht sich aus dem Land zurück. Damit beginnt für einen Teil der Übersetzer eine ungewisse Zeit. Denn nach Bundeswehrangaben werden die Sprachmittlerstellen vom Bundessprachenamt besetzt. Manche unterbrechen für die Einsätze ihre sonstige Tätigkeit im Amt, andere werden mandatsgebunden für einen bestimmten Einsatz angestellt. Und beim zweiten Punkt beginnt für die in Afghanistan eingesetzten Dolmetscher eines der Probleme.
Einer, der diese Problematik kennt, ist Bishan Shayan. Seine Geschichte steht exemplarisch für die seiner Kameraden. Deren Lage kann der Feldwebel d.R. als engagiertes, langjähriges DBwV-Mitglied und „Schnittstelle“ des Verbands zu den in Afghanistan eingesetzten militärischen Bundeswehr-Sprachmittlern ebenfalls sehr gut einschätzen – die Schicksale ähneln sich.
Bereits als die Bundesregierung beschlossen hatte, dass sich Deutschland am Afghanistan-Einsatz beteiligt, hat Shayan gewusst, dass das ohne Dolmetscher nicht machbar sein wird. Er wollte sich spontan engagieren – doch 2001 hatte der gebürtige Afghane noch keine deutsche Staatsbürgerschaft. Die bekam er 2009. Über das Internet stieß er kurz darauf auf das zuständige Bundessprachenamt. Dort bewarb sich Shayan, der noch wenige Jahre zuvor kein Wort Deutsch gesprochen hatte, als potenzieller Sprachmittler für die Bundeswehr. Nach bestandener Sprachprüfung durchlief er eine soldatische Grundausbildung und danach unterstützte er die Bundeswehr als Persisch-Übersetzer.
Warum er sich damals so aktiv um eine Tätigkeit als Übersetzer für die Bundeswehr bemüht hat, weiß er noch immer ganz genau: „Ich habe mich verpflichtet gefühlt, etwas Gutes und Sinnvolles für mein Geburtsland und gleichzeitig für Deutschland zu tun. Denn Deutschland hat mir und meiner Familie in schwierigen Zeiten eine neue Heimat gegeben, wofür ich sehr dankbar bin.“ Vor Ort in Afghanistan hatten und haben Sprachmittler wie Bishan Shayan wichtige Aufgaben zu erfüllen, ohne die der Bundeswehreinsatz so nicht hätte funktionieren können. Und das ging weit über das reine Übersetzen hinaus: Sie waren auch als interkulturelle Berater der ganzen Truppe ganz wichtig: „Wir sind das Bindeglied zwischen Einheimischen, der afghanischen Regierung und dem Militär im Land und der Bundeswehr. Wir sind eine Art Brückenbauer und waren überall dabei“, bringt er es auf den Punkt.
Wenn der Feldwebel auf den Abzug der Nato-Truppen aus Afghanistan blickt, wird er aus mehreren Gründen nachdenklich. Auf jeden Fall müsse der Einsatz der Bundeswehr, auch wegen der anderen laufenden und möglicherweise noch anstehenden Auslandseinsätze, gründlich evaluiert, also detailliert ausgewertet werden.
Persönlich bewerte er als negativ, dass eines der wichtigsten Ziele des Nato-Einsatzes – die Befriedung des Landes – nicht erreicht wurde. Positiv hingegen sei, dass die afghanischen Sicherheitskräfte nun in der Lage seien, die demokratischen Interessen des Landes im Inneren zu verteidigen. Mit diversen Infrastrukturmaßnahmen sei während des Einsatzes dafür eine der wichtigen Grundlagen geschaffen worden, sagt Shayan und nennt neu errichtete Brücken, neue Straßen und Schulen als Beispiele. All dies bringe den demokratischen Entwicklungsprozess voran.
Und: „Die Entwicklungshilfe in Afghanistan war für Deutschland bereits in den 60er und 70er Jahren ein Schwerpunkt. Sie gab es also schon lange vor 2001 und sie wird hoffentlich auch nach dem Abzug weitergehen“, sagt er.
Wunsch nach abgesicherter Zukunft
Mit dem Abzug der Nato-Truppen und der Bundeswehr endet auch der Auftrag für die Übersetzer. „Persönlich wünsche ich mir vom BMVg und dem Personalmanagement der Bundeswehr, eine Weiterbeschäftigung der Sprachmittler intensiv wie schon 2014 zu unterstützen“, betont Bishan Shayan.
Bereits die vergangenen Jahre seien nicht einfach gewesen. Gerade in der Anfangszeit wurden Sprachmittler, wie Shayan berichtet, immer wieder als Reservisten befristet in den Einsatz berufen – und waren nach ihrer Rückkehr nach Deutschland dann regelmäßig wieder arbeitslos oder, wenn sie denn einen hatten, zurück im Job. Später habe es für die Dauer des jeweiligen Bundestagsmandats befristete Verträge als Arbeitnehmer der Bundeswehr gegeben. „Bis heute läuft das so, dass sie dann als Reservisten in den Einsatz gehen.“ Wenn jetzt das Mandat für den Afghanistan-Einsatz ausläuft, enden auch die Verträge mit den Sprachmittlern. „Und die sind dann arbeitslos“, sagt Shayan.
Das Ziel der Sprachmittler und des Deutschen BundeswehrVerbandes: „Wir wünschen uns, dass wir als Zeitsoldaten eingestellt werden.“ Davon erwarten Shayan und seine ehemaligen Kameraden mehr Sicherheit und bessere Zukunftsperspektiven.
2014 sei die Situation mit dem Ende des ISAF-Einsatzes schon einmal etwas anders gewesen. Damals hätten sich die Verantwortlichen darauf geeinigt, dass die militärischen Sprachmittler im Anschluss in anderen Bereichen des BMVg eingesetzt beziehungsweise in den öffentlichen Dienst integriert werden. „Je nach Qualifikation gab es feste Angebote. Und viele meiner ehemaligen Kameraden arbeiten immer noch bei der Bundeswehr.“ Aus heutiger Sicht erwarte er nun das gleiche Engagement vom Ministerium. Diejenigen Sprachmittler, die noch keine Ausbildung haben, sollten diese über den Berufsförderungsdienst nachholen können und danach als zivile Beschäftigte oder Soldaten übernommen werden, nennt Shayan eine weitere Möglichkeit der Zukunftssicherung neben der Übernahme als Zeitsoldat.
Sorge um Angehörige wächst
Die in Afghanistan eingesetzten militärischen Bundeswehr-Sprachmittler, die meisten von ihnen sind DBwV-Mitglied, sorgen sich nicht nur um ihre berufliche Zukunft. „Viele von ihnen waren oft und sehr lange im Einsatz, der für sie auch sehr schwer war. Viele haben nun mit seelischen Problemen und psychischen Erkrankungen zu kämpfen“, so Shayan, der selbst seit mehreren Jahren an einer Posttraumatischen Belastungsstörung leidet. „Auch in dieser Hinsicht brauchen die Sprachmittler eine besondere Hilfe durch die Bundeswehr.“ Zudem: Viele seiner Kameraden haben Familienangehörige in Afghanistan. Bei ihnen wächst die Sorge, was ihren Vätern, Müttern und Geschwistern nach dem Abzug der Nato-Truppen passieren könnte. Dieses Problem stand bislang nur bei den in Afghanistan direkt angeworbenen sogenannten Ortskräften und deren naher Verwandtschaft im Fokus.
DBwV bleibt ein starker Partner
Der DBwV stärkt Shayan und den anderen Sprachmittlern den Rücken, er steht ihnen auch in Zukunft als starker Partner zur Seite. Und das aus gutem Grund: „Den Dienst, den sie im Einsatz in Afghanistan geleistet haben, kann man nicht hoch genug würdigen“, betont Hauptmann Andreas Steinmetz. „Viele der Sprachmittler sind Mitglieder im DBwV und einige waren als Ansprechpartner im Auslandseinsatz für uns tätig“, so der stellvertretende DBwV-Bundesvorsitzende weiter. Er ist zudem Leiter der zuständigen Projektgruppe Sprachmittler im Verband, die ihre nächste Tagung am 15. September in Berlin geplant hat. Wie schon Shayan hebt auch Steinmetz hervor, dass es unter den Sprachmittlern viele Kameraden gebe, die mehr Einsatztage haben als aktive Soldaten in anderen Verwendungen. „Es ist deshalb für den DBwV und mich selbstverständlich, dass wir für unsere Kameraden eine angemessene Betreuung und Fürsorge auch nach Beendigung des Afghanistan-Einsatzes fordern und erwarten“, sagt Steinmetz. „Leider sind wir, trotz aller Bemühungen, noch nicht am Ziel angekommen und deshalb ist unser Engagement zu diesem Thema noch nicht beendet.“
Der DBwV werde weiter an seiner Forderung festhalten, die Kettenverträge zu beenden und den Sprachmittlern die Möglichkeit zu geben, Soldat auf Zeit zu werden. Sollte es nicht dazu kommen, sollte es zumindest ausreichend Ansprüche zur Gestaltung des Übergangs in eine zivile Anschlussbeschäftigung geben. Für Andreas Steinmetz und den DBwV steht fest: „Wir bleiben am Ball, und das gilt für alle Sprachmittler, nicht nur für unsere Kameraden, die für uns in Afghanistan unter Einsatz ihres Lebens treu gedient haben.“
Hier geht zum Internetauftritt des Bundessprachenamtes.