Patriot-Vorstoß von Lambrecht: „Friendly Fire“ aus Warschau
Verteidigungsministerin Christine Lambrecht hat angeboten, Patriot-Flugabwehrsysteme der Bundeswehr in Polen zu stationieren – und wird nun vom NATO-Partner brüskiert.
Berlin. Der Schock war groß, als zu Beginn der vergangenen Woche der Angriffskrieg Russlands in der Ukraine erstmals Opfer auf NATO-Bündnisgebiet forderte: Zwei Menschen kamen ums Leben, als es zu einer Explosion in einem polnischen Dorf nur wenige Kilometer entfernt von der ukrainischen Grenze kam. In der NATO geht man davon aus, dass es eine ukrainische Flugabwehrrakete vom Typ S-300 war, die das polnische Staatsgebiet traf. An diesem 15. November war auch der Westen der Ukraine Ziel massiver russischer Angriffe mit Raketen und Marschflugkörper. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg machte Russland für den Tod der beiden Männer im Dorf Przewodow verantwortlich.
Am vergangenen Wochenende machte dann Verteidigungsministerin Christine Lambrecht einen Vorstoß und stellte Unterstützung für Polen in Aussicht: Die Bundeswehr könne Patriot-Flugabwehrsysteme der Luftwaffe, die bereits in der Slowakei im Einsatz sind, nach Polen entsenden und somit dazu beitragen, den Luftraum nahe der ukrainischen Grenze besser zu schützen.
Das Vorhaben schien auf einem guten Weg zu sein. Lambrecht twitterte am vergangenen Montag: „Polen ist unser Freund, Verbündeter und als Nachbar der Ukraine besonders exponiert. Zusammen mit meinem polnischen Kollegen Mariusz Blaszczak bin ich übereingekommen, Patriot-Flugabwehrsysteme nach Polen zu schicken und bei der Absicherung des polnischen Luftraums mit Eurofightern zu unterstützen. Die Details werden nun von unseren Fachleuten gemeinsam ausgearbeitet.“
Ministerin Lambrecht sprach heute mit ihrem ???????? Amtskollegen @mblaszczak über das ???????? Angebot, bei der Sicherung des Luftraums mit #Patriot|flugabwehrsystemen und Eurofightern zu unterstützen. #StrongerTogetherpic.twitter.com/z3z0S0QbJZ
— Verteidigungsministerium (@BMVg_Bundeswehr) November 21, 2022
Wahlkampf-Getöse der PiS-Partei
Doch am Mittwochabend kam aus Warschau eine Kehrtwende, die man in die Kategorie „Friendly Fire“ einordnen kann. Verteidigungsminister Blaszczak regte auf einmal die Verlegung der Patriots in den Westen der Ukraine an. „Dies würde es ermöglichen, die Ukraine vor weiteren Opfern und Stromausfällen zu bewahren und die Sicherheit an unserer Ostgrenze zu erhöhen“, schrieb Blaszczak ebenfalls auf Twitter.
Unterstützung bekam er von Regierungschef Mateusz Morawiecki. Dies sei ein guter Vorschlag, um zugleich „das westliche ukrainisch-polnische Grenzgebiet und das östliche polnisch-ukrainische Grenzgebiet“ zu schützen, sagte er am Donnerstag.
Es ist bezeichnend für die Verhältnisse in Warschau, dass sich beide Regierungsvertreter erst zu Wort meldeten, nachdem der starke Mann der polnischen Politik, PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski, die Idee in die Welt gesetzt hatte. „Ich denke, es wäre für die Sicherheit Polens am besten, wenn die Deutschen diese Ausrüstung den Ukrainern überlassen und die ukrainischen Besatzungen ausbilden würden, mit der Maßgabe, dass die Batterien im Westen der Ukraine eingesetzt werden sollen“, hatte Kaczynski der Nachrichtenagentur PAP in einem am Mittwoch veröffentlichten Interview gesagt.
In knapp einem Jahr findet in Polen die Parlamentswahl statt. Kaczynski tourt derzeit durchs Land und versucht mit antideutschen Tiraden, die sinkenden Umfragewerte seiner PiS zu retten. Ohnehin kritisiert man in Polen gerne, Deutschland habe sich mit der Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine bislang schwergetan. Da passt es nicht ins Konzept, dass Deutschland dem Nato-Partner mit Flugabwehrraketen helfen will – und Polen diese Hilfe gut gebrauchen könnte.
„Klar macht das Sinn, der Ukraine auch dieses System zu liefern, sofern sie es mit ihren Soldaten bedienen können. Ich glaube allerdings, dass das Angebot der Ministerin anders gedacht war“, sagte in Berlin die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, den Zeitungen der Funke Mediengruppe. „Kurios, wie man so aneinander vorbeireden kann.“
Entsprechend bewertete auch die polnische Opposition den Vorstoß des Verteidigungsministers. Dies sei die Idee der PiS-Regierung, um den Vorschlag aus Berlin de facto abzulehnen, dies aber nicht laut zu sagen, sagte Ex-Präsident Bronislaw Komorowski am Donnerstag dem Radiosender Rmf.fm. „Es ist schwierig, deutsche Hilfe anzunehmen und gleichzeitig Deutschland in der Politik zu bespucken, wo immer man kann, und ihm fast aggressive Absichten gegenüber Polen zu unterstellen.“
Lambrecht reagiert zurückhaltend
Die Zeitung „Gazeta Wyborcza“ resümierte: „Wir haben es hier mit einer ziemlich plumpen Propagandamasche von Minister Blaszczak zu tun, um das uns wohlgesonnene Deutschland in eine unangenehme Lage zu bringen.“ Deutschland werde seine Soldaten nicht in die Ukraine schicken, um die Patriots zu bedienen. Denn das würde schließlich bedeuten, dass das NATO-Land in einen Krieg mit Russland verwickelt werden könnte, mahnte das Blatt.
Lambrecht reagierte zurückhaltend auf den polnischen Vorschlag, die Patriot-Systeme in der Ukraine zu stationieren. Die Patriots seien Bestandteil der integrierten Luftverteidigung der NATO und für NATO-Gebiet vorgesehen, sagte sie am Donnerstag. Ein Einsatz außerhalb des Bündnisses müsse mit den Alliierten besprochen werden.
Nun meldete sich auch Polens Präsident zu Wort. Deutschland solle entscheiden, ob die Patriot-Flugabwehrsysteme auf polnischem Gebiet oder in der Ukraine aufgestellt werden. „Aus militärischer Sicht wäre es auch für den Schutz des polnischen Territoriums am besten, wenn diese Raketen sich in gewisser Entfernung von der polnischen Grenze auf dem Gebiet der Ukraine befinden würden“, sagte Duda am Freitag in Vilnius. Dann könnte die Flugabwehr am wirkungsvollsten beide Länder schützen. „Aber die Entscheidung über die Stationierung liegt bei dem Land, das über dieses System verfügt, also bei der deutschen Seite“, so Duda weiter.