Eines der großen Probleme der NATO ist der Mangel an Einigkeit unter den Bündnispartnern. Zudem gilt als sicher, dass die Bereitschaft der USA, für Europas Sicherheit einzutreten, nachlassen wird - unabhängig vom Ausgang der Präsidentschaftswahlen. Foto: NATO/Flickr

Eines der großen Probleme der NATO ist der Mangel an Einigkeit unter den Bündnispartnern. Zudem gilt als sicher, dass die Bereitschaft der USA, für Europas Sicherheit einzutreten, nachlassen wird - unabhängig vom Ausgang der Präsidentschaftswahlen. Foto: NATO/Flickr

06.07.2024
Von Joachim Krause

Der NATO-Gipfel von Washington: Was ist zu erwarten und was nicht?

Vom 9. bis zum 11. Juli findet in Washington ein Gipfel der Staats- und Regierungschefs der NATO statt. Mit dem Treffen wird das 75-jährige Jubiläum des Nordatlantik-Vertrags gefeiert, auch wenn die NATO aktuell vor großen Herausforderungen steht.

Es ist zu erwarten, dass das Bündnis gepriesen wird, weil es das größte, das am längsten bestehende und erfolgreichste der Weltgeschichte ist. Das mag alles stimmen, aber die Allianz steht vor Problemen, die größer sind als alles, womit sie bislang zu tun hatte.

Das erste große Problem heißt „Ukraine-Krieg”. Genauer gesagt ist es die Frage, wie man mit einem zunehmend imperialistischen und militaristisch auftretenden Russland umgeht, welches sich zudem der Unterstützung durch China sicher weiß. Es ist das Russland, dessen Präsident partout nicht einsehen will, dass es den Krieg in der Ukraine bislang nicht gewinnen konnte und der die Ukraine in einem langandauernden und blutigen Abnutzungskrieg in die Knie zwingen will – koste es, was es wolle. Das bedeutet inzwischen auch, dass Putin bereit ist, eine Krise der internationalen Politik vom Zaun zu brechen, die das Potenzial hat, in einen Weltkrieg überzugehen. Das ist nicht der Weltkrieg, den Bundeskanzler Olaf Scholz im Sinn hat, wenn er Waffenlieferungen an die Ukraine ablehnt, die Russland angeblich zu Atomschlägen gegen Deutschland veranlassen könnten.

Es ist der sehr viel wahrscheinlichere, schleichende Weltkrieg, der dadurch entsteht, dass Russland andere Länder wie China, Nordkorea oder den Iran dazu bringt, ihm Waffen zu liefern oder Werkzeugmaschinen und Chips zur Waffenproduktion. Langfristig viel schlimmer ist, dass Russland zudem diese Länder aber auch Venezuela und Serbien dazu anstiftet, eingefrorene Konflikte wieder aufleben zu lassen oder aber bestehende Konflikte zu eskalieren. In weiteren Ländern versucht Russland mit militärischen Mitteln seinen Einfluss auf Kosten westlicher Staaten auszuweiten (Mali, Burkina Faso, Niger, Syrien, Libyen, Sudan, Moldau). In der Regel führen diese Aktivitäten zur Verschärfung von Kriegen und lösen Flüchtlingswellen aus, die dann bei uns eintreffen. Der schleichende Weltkrieg wird zu einem offenen Weltkrieg, sollte sich China dazu entschließen, Taiwan anzugreifen oder gleich die amerikanische Militärpräsenz in Ostasien. Oder wenn Nordkorea einen Krieg gegen den Süden vom Zaun bricht.

Gefährliche Nibelungentreue

Warum treibt Putin es auf die Spitze? Vermutlich, weil er glaubt, dass er damit durchkommt. Vielleicht auch, weil sein korruptes und kriminelles Regime ansonsten kollabieren würde. Diesen Kollaps fürchtet zumindest China. Es unterstützt Russland immer stärker, damit Putin nicht scheitert. Nibelungentreue kann bekanntermaßen zum Weltkrieg führen. Putin träumt von seiner Version eines Endsiegs, bei dem die ukrainische Nation ausgerottet wird. Und seine Ambitionen gehen noch weiter. Er will gemeinsam mit China und anderen Diktaturen die westlich geprägte, internationale Ordnung zerstören. Die Existenz freier Gesellschaften und Demokratien ist für dieses Regime eine existentielle Bedrohung.

Das westliche Bündnis hat sich bislang aus dem Ukraine-Krieg herausgehalten. Das soll sich jetzt ändern und die NATO wird die Koordinierung der Waffenlieferungen und Militärhilfe an die Ukraine übernehmen. Aber die NATO hat keine gemeinsame Vorstellung davon, was sie mit den Waffenlieferungen angesichts des unbeirrbaren Willens Putin zum Sieg erreichen will. Man unterstützt die Ukraine solange wie es notwendig ist – so klingt es aus Washington und Berlin. Aber irgendwann sind die menschlichen Ressourcen der Ukraine erschöpft und was dann? Daran wird sich auf dem Gipfeltreffen vermutlich nichts ändern. Einige Regierungen – wie diejenige Frankreichs – gehen davon aus, dass es einer gewissen Eskalation im Niveau der Hilfe bedarf, aber Washington und Berlin sind strikt dagegen, weil die Furcht vor einer direkten Auseinandersetzung mit Moskau übermächtig ist. Und das, obwohl paradoxerweise Moskau die direkte Konfrontation mit den USA viel mehr fürchten muss als umgekehrt. Wenig Sinn macht es, der Ukraine Fortschritte für ihren Beitritt zur NATO zu signalisieren. Der kurzfristige Beitritt würde bedeuten, dass alle NATO-Staaten unmittelbar Kriegsteilnehmer werden. Das ist derzeit nicht vorstellbar.

Trump ist ein Problem

Das zweite große Problem der NATO heißt „Trump“ oder „Make America great again.“ Egal, ob Trump Präsident wird oder nicht, die Bereitschaft der USA, für die Sicherheit Europas einzutreten, wird nachlassen, und wir Europäer werden erheblich mehr für unsere Verteidigung gegen die absehbar aggressiv bleibenden Russen aufwenden müssen. Für Deutschland bedeutet es, dass wir uns hier und jetzt für eine deutliche Verstärkung unserer militärischen Kräfte für die Verteidigung des Bündnisses bemühen müssen. Ziel muss die Aufrüstung der Bundeswehr auf 370.000 Mann Friedensstärke bei einer starken Aufwuchsfähigkeit sein. Nicht zwei Prozent Anteil am Bruttoinlandsprodukt sollte das Ziel sein, sondern drei. Es gibt derzeit keine europäische Regierung, die sich in dieser Hinsicht positioniert. Es kann aber erwartet werden, dass eine entsprechende Aufforderung im Kommuniqué erscheint.

Die dritte große Baustelle ist die nukleare Abschreckung. Wir sind seit zwei Jahren in einer Lage, in der Russland wiederholt mit dem Einsatz von Kernwaffen droht – offenbar auch gegenüber dem deutschen Bundeskanzler. Die NATO war bislang nicht in der Lage, dieses Thema offen anzugehen. Dringend notwendig sind die Belebung und der Ausbau der nuklearen Teilhabe. Nur die nukleare Teilhabe innerhalb der NATO gibt denjenigen Staaten, die derzeit an ihr mitwirken (Deutschland, Italien, Niederlande, Belgien, Türkei) die Möglichkeit, in einer ernsten Situation der nuklearen Bedrohung durch Russland vorübergehend zu einer Nuklearmacht zu werden (natürlich nur in Kooperation mit den USA). Damit das so bleibt, ist eine Erweiterung des Kreises der Teilnehmer sowie eine Vergrößerung der nuklear zertifizierten Flugzeuge notwendig. Auch müssen die hierzulande lagernden Kernwaffen besser gegen Entwaffnungsschläge geschützt werden. Es gibt leider keine Anzeichen dafür, dass der Gipfel dieses Thema in substanzieller Art und Weise aufgreifen wird. Dringend notwendig wäre es allemal.

Horchposten Moskaus

Das vierte große Problem ist der Mangel an Einigkeit unter den 32 Bündnisteilnehmern. Die hauptsächlichen Problemstaaten sind – aus unterschiedlichen Gründen – die Türkei und Ungarn. Die Türkei ist ein Problemstaat, weil sie sich als eigenständige Regionalmacht versteht, die ihre eigenen Interessen eigenwillig vertritt und sich häufig nicht darum schert, was die anderen Bündnispartner davon halten. Ungarn, weil es mehr oder weniger die Interessen Putins vertritt und von vielen als Horchposten Moskaus angesehen wird. Einzelne Regierungen fordern schon, ungarische Vertreter von wichtigen Treffen auszuschließen.

All diese Probleme werden nur dann angegangen werden können, wenn mächtige Staaten Europas wie Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Polen und Italien sich für deren Lösung stark machen. Davon ist die Bundesregierung weit entfernt. Mit Ausnahme des Verteidigungsministers scheint sie in einem Tiefschlaf begriffen zu sein. Bei der Militärhilfe für die Ukraine versteckt sich Kanzler Scholz hinter dem übervorsichtigen US-Präsidenten. Was die Erhöhung des deutschen Verteidigungsbeitrags betrifft, hofft die Ampelkoalition auf einen Sieg Bidens bei der bevorstehenden Präsidentschaftswahl. Ansonsten werden keine Gedanken darauf verschwendet, wie man nach Ausgabe der 100 Milliarden Sondervermögen die zwei Prozent Anteil am Bruttosozialprodukt wird halten können. Und über nukleare Teilhabe will der Bundeskanzler lieber gar nicht reden. Er weiß aus eigenem Mittun, wie schnell das einem sozialdemokratischen Kanzler den Job kosten kann.

Mit Rat und Hilfe stets an Ihrer Seite!

Nehmen Sie Kontakt zu uns auf.

Alle Ansprechpartner im Überblick