Im Einsatz: Der Kommandeur des 209. Korps der Afghan National Army, Brigadier General Amanullah Mobin (l.), beschreibt dem deutschen Kontingentführer, Brigadegeneral André Bodemann, die militärische Lage Foto: Bundeswehr/Christoph Lammel

Im Einsatz: Der Kommandeur des 209. Korps der Afghan National Army, Brigadier General Amanullah Mobin (l.), beschreibt dem deutschen Kontingentführer, Brigadegeneral André Bodemann, die militärische Lage Foto: Bundeswehr/Christoph Lammel

26.07.2017
mkl

Brigadegeneral Bodemann: „Ich bin dankbar, diese Truppe führen zu dürfen“

Seit November 2016 führt André Bodemann als Kommandeur des Train, Advise and Assist Command (TAAC) North der Resolute Support Mission das deutsche Kontingent in Mazar-i-Sharif. Im Interview mit „Die Bundeswehr“ spricht der Brigadegeneral über Fortschritte bei der Ausbildung, Anschläge und das nachlassende Interesse der Medien.

Die Bundeswehr:
Herr Bodemann, kürzlich war der Bundespräsident zu Besuch und hat das deutsche Engagement vor Ort gelobt. Wie haben die Soldaten den Tag erlebt? Was bleibt hängen?

André Bodemann: Auch wenn Besuche für uns alle immer mit einem hohen Aufwand im Vorfeld verbunden sind, freuen wir uns darüber. Wenn ein Besucher dann, wie eben der Bundespräsident, neben seinen politischen Gesprächen, die er hier im Land geführt hat, auch noch zur Truppe spricht und deutlich macht, wie sehr er unseren Dienst hier in Afghanistan bzw. im Einsatz überhaupt schätzt, sind alle Mühen vergessen und wir fühlen uns prima wahrgenommen. Diejenigen, die dabei sein konnten, haben den Bundespräsidenten und seine Gattin als sehr interessiert, gut gelaunt und unglaublich nahbar wahrgenommen.

Eine große Anzahl von Soldatinnen und Soldaten haben die Gelegenheit genutzt, im Gespräch mit ihm auch die Herausforderungen ihrer Tätigkeit oder des allgemeinen Lebens hier im Einsatz zu erörtern. Selbst die „Selfies“ sind nicht zu kurz gekommen. Bei uns hängen geblieben sind aber auch die klaren Worte des Bundespräsidenten an unsere afghanischen Partner und die afghanische Regierung, ihren Teil zum Erreichen von Sicherheit und Stabilität beitragen zu müssen.

In Deutschland findet die Bundeswehr in den Medien aktuell vor allem im Zusammenhang mit vermeintlichen Skandalen statt, die Ministerin warf der Truppe pauschal Führungs- und Haltungsschwäche vor. Wie gehen die Soldaten vor Ort damit um?

Natürlich war das auch hier im Kontingent ein Thema. Wir alle haben uns darüber unterhalten. Zum Teil wurde auch heftig und kontrovers darüber diskutiert. Das Wichtigste war aber, dass alle einvernehmlich, ob in der Kommandeurrunde, unter den „Spießen“, den Vertrauenspersonen oder aber auch innerhalb der Truppe insgesamt gesagt haben: „Wir haben hier einen Auftrag zu erfüllen und das wollen wir so gut wie möglich tun, egal was in Deutschland gerade geschieht und geredet wird.“

In der öffentlichen Wahrnehmung dominieren derzeit vor allem die Einsätze in Mali und im Mittelmeer. Würden Sie sich eine stärkere Würdigung des Engagements in Afghanistan wünschen?

Der Einsatz hier in Afghanistan ist immer noch sehr gefährlich und fordert uns in vielerlei Hinsicht. Uns kommt es aber in erster Linie darauf an, dass wir uns hier auf unseren Auftrag konzentrieren. Allerdings nehmen wir schon wahr, dass über Afghanistan vor allem die negativen Dinge berichtet werden. Afghanistan findet in den deutschen Medien leider nur statt, wenn es zum Beispiel einen Angriff in Kunduz, auf Deutsche oder einen größeren Anschlag in Kabul gibt.

Wenn die afghanischen Sicherheitskräfte einen Angriff in Kunduz erfolgreich zurückschlagen oder eine Straße, die von den regierungsfeindlichen Kräften gesperrt war, wieder geöffnet haben, findet dies keine Erwähnung. Das ist umso unerfreulicher, da dies oft auch auf der Basis unserer Beratung geschieht und das Ergebnis unserer Arbeit zeigt. Es gibt auch noch viele andere positive Dinge zu berichten, die es leider kaum in die Abendnachrichten schaffen, wie z.B. die Erfolge in der Ausbildung, beim Aufbau der afghanischen Luftwaffe, der Spezialkräfte oder aber auch im Bildungswesen, der Medienlandschaft, im Gesundheitswesen etc.

Hinzu kommt, dass unser Auftrag seit 2015 ein ganz anderer ist, jedoch kaum so wahrgenommen wird. Wir haben nicht mehr die Aufgabe, Patrouillen zu fahren oder die afghanischen Soldaten draußen im Gefecht zu unterstützen. Der ein oder andere Journalist hat uns auch schon sein Leid darüber geklagt, wie schwer eine solche Beratungsmission medial zu vermitteln ist. Gespräche bei einer Tasse Tee oder Besprechungen in einer Operationszentrale, das sieht einfach selten spektakulär aus. Aber es ist für uns hier die tägliche Realität.

Wie entwickelt sich aus Ihrer Sicht die Sicherheitslage im Norden Afghanistans?

Wir bewerten die Sicherheitslage im Norden Afghanistans insgesamt als volatil und regional sehr stark unterschiedlich. Es gibt einzelne Provinzen, in der sie durchaus gut ist. In anderen Provinzen, wie in Kunduz oder Baghlan, ist das leider nicht der Fall. Insgesamt kann man jedoch noch immer von einer „Patt-Situation“ sprechen. Den regierungsfeindlichen Kräften ist es bisher nicht gelungen, nachhaltige Geländegewinne zu erzielen und diese auch zu halten.

Wir beobachten erfreulicherweise, wie die ANDSF immer wieder auch dagegen halten und Orte bzw. Hauptverkehrswege zurückgewinnen. Im Übrigen muss man in der Beschreibung der Lage stets präzise sein. Häufig wird von der Besetzung von Kunduz durch die regierungsfeindlichen Kräfte oder zumindest dem drohenden „Fall“ von Kunduz gesprochen. Sehr oft sind es tatsächlich aber Kämpfe in der Provinz Kunduz und nicht in der Stadt.

Und nur weil es wenige Aufständische erreicht haben, ihre weiße Flagge in Kunduz Stadt zu hissen, bedeutet dies nicht, dass Kunduz „gefallen“ ist. Denn einige der regierungsfeindlichen Kräfte leben dort und müssen die Stadt gar nicht infiltrieren, um sie anzugreifen. Meist ist die Angelegenheit durch die afghanischen Sicherheitskräfte auch schnell bereinigt. Aber das Foto auf Facebook bleibt dennoch und soll der Welt weismachen, dass Kunduz wieder einmal gefallen wäre.

In diesem Jahr ist es den afghanischen Sicherheitskräften im Norden und Osten der Provinz Kunduz beispielsweise sogar gelungen, Räume und Orte zurückzugewinnen, die mehr als zwei Jahre in der Hand der regierungsfeindlichen Kräfte waren. Aber es bleibt dabei, die Sicherheitslage in Nordafghanistan ist noch nicht so, wie wir sie gern hätten.

Wie läuft die Zusammenarbeit mit den lokalen Kräften? Gibt es Fortschritte bei der Ausbildung?

Die Zusammenarbeit mit den afghanischen Sicherheitskräften gestaltet sich insgesamt gut und vertrauensvoll. Fortschritte in der Ausbildung und bei der Operationsführung gibt es tatsächlich. Die Wirkung und Effektivität beispielsweise der afghanischen Luftwaffe mit ihren Flugzeugen und Hubschraubern spricht ebenso für sich, wie die der Spezialkräfte. Bei den regulären Bodentruppen gibt es noch deutlichen Handlungsbedarf. Hier sind es für uns eher einfache taktische Dinge wie „Feuer und Bewegung“, die sich noch nicht ausgewirkt haben.

Hier sollte die Ausbildung vor allem der Züge und Kompanien im Regional Military Training Center in Mazar-e Sharif, von der Idee etwa vergleichbar mit unserem Übungszentrum Infanterie in Hammelburg, gefördert werden. Das gleiche trifft auf die Ausbildung des Führungsnachwuchses in Kabul zu. Hier lohnt sich meines Erachtens die Investition in die Leistungsfähigkeit und das Führungsverhalten der kommenden Generation von Kompaniechefs, Bataillonskommandeuren und höher. Wir beraten ja aber überwiegend das 209. ANA Korps sowie die Polizeizonen 707 und 808, also auf der höheren Führungsebene.

Derzeit sehen wir dort noch Verbesserungsbedarf zum Beispiel im Verständnis für Logistik, Materialinstandhaltung, in Bezug auf eine  langfristige Operationsplanung oder beim Verständnis für die Notwendigkeit von Reserven. In vielen Bereichen sehen wir deutliche Fortschritte.
Aber wir müssen stets die afghanische Kultur, Überzeugungen und Fähigkeiten unserer afghanischen Kameraden berücksichtigen. Wir können ihnen nicht unsere Operationspläne nach deutschem Muster ausarbeiten und hinlegen mit den Worten „so wird es gemacht“. Das funktioniert nachweislich nicht. Es ist im Übrigen auch ihr Land, ihre Armee und ihr Kampf. Schließlich kämpfen sie durchgängig weit mehr als 16 Jahre und teilweise sehr erfolgreich.

Wir beraten, helfen und unterstützen vertrauensvoll und ohne Besserwisserei. Insgesamt ist es daher unverändert noch ein langer, manchmal auch steiniger Weg. Dieser Weg benötigt Zeit und die Erfolge stellen sich selten von heute auf morgen ein. Auch wenn ich bereits verschiedentlich dafür kritisiert wurde, bleibe ich bei meinem Bild der notwendigen „strategischen Geduld“.

Es gab zuletzt sicher viele schwierige Situationen, z.B. durch die zahlreichen Angriffe. Aber was waren aus Ihrer Sicht die guten, vielleicht die besten Momente der vergangenen Monate?

Ja, es hat an meinem ersten Tag unmittelbar nach der Übernahme der Verantwortung mit dem Anschlag auf das Deutsche Generalkonsulat am 10. November 2016 heftig begonnen. Hinzu kam beispielsweise der grausame Anschlag auf das Camp Shaheen des 209. ANA Korps am 21. April 2017 und der Anschlag in der „Greenzone“ in Kabul am 31. Mai 2017, bei dem viele Zivilisten ums Leben kamen und die Deutsche Botschaft schwer beschädigt wurde.

Besonders freut es uns daher zu sehen, wenn die afghanischen Sicherheitskräfte – auch und gerade unterstützt durch unsere Beratung – erfolgreich sind. Wenn dann auch noch Menschen außerhalb der Sicherheitskräfte und der Politik uns für das Engagement hier in Afghanistan danken, dann wissen wir, wofür wir hier sind. Darüber hinaus sind die besten Momente für mich ganz persönlich aber die vielen Begegnungen mit der Truppe, national wie multinational, die zahlreichen guten Gespräche im Lager, das gemeinsame Weihnachtsfest hier im Einsatz, der Jahreswechsel, den ich um Mitternacht mit dem Team in der JOC gefeiert habe, die "International Wednesdays“, bei denen sich die einzelnen Nationen vorstellen und viele andere vergleichbare Momente.

Ich bin dankbar, diese Truppe führen zu dürfen. Auch wenn es schwierige und herausfordernde Zeiten gab, ist es eine große Freude, diese tolle, professionelle und engagierte Truppe zu sehen. Ich habe großen Respekt vor deren Leistungen.

Worauf wird es in den kommenden Monaten/Jahren besonders ankommen?

Für mich kommt es zukünftig auf zwei unterschiedliche Linien an. Zunächst sollten wir als Resolute Support uns mehr auf die Ausbildung und hier speziell den Führungsnachwuchs konzentrieren. Das ist eine Investition in die Zukunft. Um das Erreichte sichern und weiter ausbauen zu können, kommt es aber auf ein hinreichend stabiles Umfeld an. Sicherheit und Entwicklung liegen nun in erster Linie in den Händen der Afghanen selbst. Natürlich ist es geboten, die Sicherheitskräfte weiter zu stärken und ihre Fähigkeiten zu verbessern.

Mit Rat und Hilfe stets an Ihrer Seite!

Nehmen Sie Kontakt zu uns auf.

Alle Ansprechpartner im Überblick