Bericht der Wehrbeauftragten: Bundeswehr am Limit
Die Wehrbeauftragte des Bundestags, Eva Högl, hat in Berlin ihren fünften Jahresbericht vorgestellt. Nach wie vor gebe es bei der Bundeswehr von allem zu wenig, doch es seien auch Fortschritte zu sehen. Sorgen bereitet der Wehrbeauftragten vor allem die unverändert schlechte Personallage bei einer gleichzeitig hohen Auftragsbelastung.
Berlin. Die alljährliche Vorstellung des Jahresberichts der Wehrbeauftragten hatte immer etwas Rituelles an sich: Im Bericht monierte der oder die Wehrbeauftragte regelmäßig Mängel und Fehlentwicklungen, welche der Einsatzfähigkeit der Truppe im Wege standen. Und in ebenso zuverlässiger Regelmäßigkeit gelobte die Politik pflichtbewusst Besserung und versprach, sich der Probleme anzunehmen. Und dann ging letztendlich doch meistens alles im gewohnten Trott weiter, wesentlich mehr Tempo kam bei der Modernisierung der Bundeswehr auch nicht nach der veränderten weltpolitischen Lage mit Beginn der russischen Aggression gegen die Ukraine mit der Annexion der Krim 2014 auf.
Nun ist alles anders. Spätestens mit der vollumfänglichen Invasion der Ukraine am 24. Februar 2022 und der wenige Tage später von Bundeskanzler Olaf Scholz ausgerufenen „Zeitenwende“ sollte jedem politisch Verantwortlichen klar sein, dass es nun auch um Tempo gehen muss. Und doch steht die Bundeswehr im März 2025 nicht viel besser da als im Februar 2022 – zwar wurde das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro auf den Weg gebracht und zum größten Teil ausgegeben, doch durch die umfangreichen Materialabgaben an die Ukraine und die schleppende Nachbeschaffung von Gerät ist man von einer einsatzbereiten – kriegstüchtigen – Truppe noch meilenweit entfernt. Die Zweifel am Kurs des großen transatlantischen Partners USA verschärfen die Lage zusätzlich: Das Zeitfenster, auf das es für eine abwehrbereite Bundeswehr ankommen könnte, erscheint nun nochmals ein Stückchen kürzer.
Es kommt jetzt aufs Tempo an
So sind die Erkenntnisse, die der jetzt durch die Wehrbeauftragte Eva Högl vorgestellte Jahresbericht mit sich bringt, nicht wirklich neu. Klar ist, dass es nun wirklich auf das Tempo ankommt. In ihrem nunmehr fünften, heute vorgestellten Bericht bemüht Högl den Vergleich der Bundeswehr mit einem schweren Tanker, der nicht so schnell seinen Kurs ändern könne wie ein Schnellboot. Alles brauche eben Zeit – „Zeit, die wir nicht haben“, stellt Högl in ihrem Bericht fest. Ungeduld sei nun geboten. Zwar seien die unternommenen Anstrengungen „enorm“, die „Ergebnisse jedoch (noch) nicht überall sichtbar“, so die Wehrbeauftragte.
Sichtbar seien vor allem die Verbesserungen bei der persönlichen Ausstattung mit Schutzwesten und Helmen sowie Kälte- und Nässeschutz. Diese Punkte seien nicht mehr Gegenstand unzähliger Eingaben wie in der Vergangenheit gewesen, so Högl. Nach wie vor mangele es jedoch an funktionstüchtigem Großgerät und Ersatzteilen – trotz einer Rekordzahl von 97 großen Beschaffungs- und Entwicklungsvorhaben, die vom Bundestag bewilligt wurden. Für die Zukunft mahnte Högl an, ausreichend in Zukunftstechnologien wie Drohnen oder Satelliten zu investieren. Insgesamt gesehen dürfe man nicht nachlassen, die Beschaffungsprozesse weiter zu beschleunigen.
„An der Belastungsgrenze“
Den erforderlichen Aufwuchs muss die Bundeswehr zudem bei einem gleichzeitig konstant hohen Auftragsniveau stemmen: NATO-Verpflichtungen und die Ukraine-Ausbildung, aber auch die verstärkte Marine-aktivitäten in Nord- und Ostsee sowie im Roten Meer oder im Indopazifik binden zahlreiche Soldatinnen und Soldaten. „Die Truppe ist stark gefordert, sie ist an der Belastungsgrenze“, sagte Högl bei der Vorstellung ihres Berichts.
Das Personal bleibt dabei ein Kernproblem der Bundeswehr: Das beste und modernste Material ist nur wenig Wert, wenn es auf dem Hof steht und die Menschen fehlen, die es bedienen können. So sei die Bundeswehr dem gesteckten Ziel, bis 2031 eine Stärke von 203.000 Soldatinnen und Soldaten zu erreichen, im Berichtszeitraum nicht nähergekommen, moniert Högl. „Leider weiterhin verschlechtert hat sich die hohe Zahl unbesetzter Dienstposten“, schreibt die SPD-Politikerin in ihrem Bericht. Knapp 20 Prozent aller Dienstposten seien Ende 2024 unbesetzt gewesen, so Högl. Einer gestiegenen Zahl an Bewerbungen stehe eine nach wie vor hohe Zahl von Abbrechern entgegen. „Wir brauchen dringend mehr Geld auch für Personal“, sagte Högl. Der Wehrbeauftragten geht es darum, so attraktive Rahmenbedingungen zu schaffen, „damit nicht mehr 25 Prozent abbrechen“, sagte Högl.
Politik soll sich zügig mit dem Thema Wehrdienst beschäftigen
Den künftigen Bundestag forderte die Wehrbeauftragte auf, sich zügig mit dem Thema Wehrdienst zu beschäftigen. Aufgrund der Neuwahlen war das von Verteidigungsminister Pistorius vorgelegte Wehrdienstmodell nicht mehr verabschiedet worden. Von einer einfachen Reaktivierung der 2011 ausgesetzten Wehrpflicht riet Högl ab. „Das könnte die Bundeswehr gar nicht verkraften“, sagte die Wehrbeauftragte mit Blick auf unzureichende Unterkünfte und Ausbildungskapazitäten. „Wenn wir mit einer Größenordnung von 5000 beginnen, dann wäre eine ordentliche Ausbildung gewährleistet“, sagte Högl, die sich wünscht, dass auch Frauen im neuen Wehrdienstmodell berücksichtigt werden. Wichtig sei es, mehr Tempo beim Wiederaufbau der Wehrerfassung vorzulegen, da der Staat aktuell keine Klarheit darüber habe, wer für den Dienst in den Streitkräften aktiviert werden könnte. Högl sprach sich für einen übergreifenden Gesellschaftsdienst aus.
„Erhebliche Probleme“ sieht die Wehrbeauftragte trotz Verbesserungen weiterhin beim Thema Infrastruktur – es gebe immer noch einen Investitionsbedarf von 67 Milliarden Euro. Einige Kasernen und Liegenschaften seien teilweise immer noch „in einem desaströsen Zustand“. Högl beklagte zudem die überbordende Bürokratie in der Bundeswehr, unter anderem bedingt durch die schleppend verlaufende Digitalisierung.
Der Bundesvorsitzende Oberst André Wüstner kommentierte die Pressekonferenz zur Veröffentlichung des Berichts live bei Welt TV.