Die beste Medizin
Der drittletzte Tag der Invictus Games: Das Besuchsniveau bleibt hoch, das Programm bunt, die Athleten und Soldaten sind begeistert.
Ein Pole fragt den Amerikaner, ob er ein Selfie mit ihm macht: Beata ist nämlich krank. Klar, sagt Gared Kuwada, 53, Chief Master Sergeant, Airforce. Er sitzt im Rollstuhl, aber das hält ihn nicht ab vom Schwimmen und Radfahren, vom Rollstuhl-Rugby und der Leichtathletik, Racing Chair. Der Pole sagt, sie wäre gerne gekommen. Hat sich so auf die Spiele gefreut. Geht leider nicht. Er trägt ein Lewandowski-Shirt, er hat ein Schild gemalt. Darauf steht „Gute Besserung, Beata“ und Kuwada hält es in die Kamera.
„Amazing”, sagt er, “all of us are healing together, selbst die Besucher.” „Overwhelming“, findet er die ganze Veranstaltung. Es sind seine zweiten Games, die amerikanische Armee lässt ihre Soldaten nur bei zwei Veranstaltungen mitmachen, die Plätze sind begehrt. Wie alle findet auch Kuwada den Sport nicht wichtig, als Wettbewerb: „Er hilft uns beim Heilen. Was aber noch mehr hilft, ist der Kontakt mit allen anderen, den Teilnehmern und den Zuschauern.“
"Mega Zuschauer"
Das Gelände ist so voll wie an allen Tagen zuvor, die Spiele werden gut angenommen, das kann man mittlerweile sicher sagen. Es gibt Burger und Pommes, Currywurst und Pommes und Pommes pur. Und wenn man was ganz Verrücktes will: Pommes mit Ketchup. Einen Bierstand nur, das ist ausbaufähig, aber es sind ja auch viele Kinder da. „Ganz toll, mega Zuschauer“, hatte Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, schon ein paar Tage zuvor gesagt und das hat sich nicht geändert. Die Stimmung ist immer noch so gut, dass man das mittlerweile gar nicht mehr extra erwähnen muss. Die Athleten mischen sich mit den Zuschauern, sie sind immer ansprechbar, die Atmosphäre ist sehr offen.
Rene, Rang, Nachname, Dienstgrad, sagt er alles nicht, macht man ja manchmal nicht so, bei der Bundeswehr, findet die Neugier der Zivilsten gut. Das sagt er im Gespräch ein paarmal: „Neugier“. Er sagt: „Das Besondere an den Games, ist die Verschmelzung von ziviler Welt und Militärwelt.“ „Superspannend“, findet Laura das. Auch hier: Sie trägt eine Uniform und deswegen wird sie schon bei der Armee sein, wird schon stimmen. Aber ihren Namen behält sie für sich, ihren Dienstrang auch und ihre Verwendung… nun… keine Ahnung, was sie tut.
"Um ein Gewehr zu halten, brauche ich keine Beine"
Bei Johanna Hodermann, ist das nicht so, da weiß man es: Oberstabsgefreite, ABC-Abwehr. Sie steht vor dem Stand des DBwV und ist „sehr begeistert, wie die Kameraden sich ins Leben zurückkämpfen“, und da bleibt einem gar nichts anderes übrig, als an Igor Derman zu denken, der ein paar Tage zuvor am Stand des ukrainischen Teams war. Derhan ist 31 Jahre alt. Im Krieg gegen die Russen hat er sein rechtes Bein verloren, 2017 war das, an der Kontaktlinie im Donbass, eine Mine. Seit 2014 hatte er in der Region Luhansk gekämpft. Dennoch: Er schwimmt, er rudert, er spielt Basketball und um die Wette laufen tut er auch. Warum auch nicht, denkt er, er hat sich im Februar 2022 wieder zur Armee gemeldet. Ich bin bereit hatte er gesagt. Im Leben zurück, um in den Krieg zu gehen. Die Invictus Games sind ein Fest der Selbstermächtigung, stimmt schon, für Derman aber wichtiger: er muss in Form bleiben. Er kämpft nach wie vor in der Armee gegen die Russen. „Um ein Gewehr zu halten“, sagt er, „brauche ich keine Beine.“
Die Realität grätscht da einmal rein in die gute Stimmung. Richtig weg ist sie aber ohnehin nie, weil die Versehrten zu sehr an Krieg erinnern.
„Wir müssen die Beziehung zu den Athleten nachhaltig machen“, hatte Strack- Zimmermann gesagt. Die Beziehungen zu den Athleten erhalten, wenn das Event vorbei ist. Das ist etwas um die Idee herumgeredet, aber letztlich heißt das wohl: Veteranentag, zumindest sowas in der Art. Sie sagt: „Wir haben eine Verantwortung für die Soldaten, die wir in Einsätze schicken“. Und das gelte eben auch, wenn die zurückkommen.
Ein Zwischenziel auf dem Weg zurück ins Leben
Johanna Hodermann, die Oberstabsgefreite, sagte dann noch, dass der DBwV „uns immer unterstützt.“ Dass er eine positive Wirkung hat. Und das gilt auch für die Veranstaltung als Ganzes – weil sie in beide Richtungen funktioniert. Die Invictus Games sind keine Einbahnstraße. Ja, sie geben den Athleten ein Zwischenziel auf dem Weg zurück ins Leben, ja, Sport hilft bei der Therapie, aber alle Soldaten, alle Besucher merken, dass Begegnung Ängste und Vorteile zu den einsatzgeschädigten Veteranen abbauen – und sei es, dass man nur sensibilisiert wird, darauf, Leuten ins Gesicht zu sehen. Zuhören, was sie zu sagen haben. Inhalt vor Optik.
Das ist „very important”, sagt Jean-Bernard Mathieu. Er war Teamleader, Special operation Regiment, belgische Armee, zweimal verwundet in Somalia 1993. Zuerst eine Granate, dann eine Mine. Er hat drei Freunde verloren damals, einer von ihnen stand direkt neben ihm und hat die Wucht der Explosion mit seinem Körper abgefangen – er ist gestorben, damit Mathieu leben kann. Der sagt: „Zu Leben ist mein Schicksal.“ „Damals“, sagt er, „gab es nichts für die Versehrten.“
Die Invictus Games?
„Die beste Medizin, um zurück ins Leben zu kommen.“
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