Bündnissolidarität ist wichtig – aber dann richtig!
Zur Lage in der Türkei und Bundeswehr bei Active Fence
Aufgrund des großen Echos bei Politik und Medien nach der Lageänderung in der Türkei und der Bedeutung für die deutsche Beteiligung an der Nato-Mission Active Fence in der Südtürkei, mahnt der stellvertretende Vorsitzende des Deutschen BundeswehrVerbandes, Hauptmann Andreas Steinmetz, die eigentlichen Probleme des Einsatzes im Blick zu behalten: „Natürlich besteht der Auftrag für die Nato, die türkische Bevölkerung vor Luftangriffen zu schützen, weiter fort. Allerdings muss auch die Personallage der Bundeswehr, hier im Speziellen der Flugabwehrraketengruppen, gerade während der Neuausrichtung beachtet werden. Der Einsatz, der ohnehin schon am Rande der Belastbarkeit durchgeführt wird, kann nicht endlos im selben Umfang verlängert werden. Dafür fehlt schlichtweg Personal und Material.“
Das Flugabwehrraketengeschwader 1 ist seit April 2013 der einzige Verband mit dieser Flugabwehrfähigkeit von „Patriot“-Systemen. Im Zuge der Neuausrichtung wurde der Umfang von Personal und Material gerade dieser Fähigkeit erheblich reduziert. Somit müssen alle Aufgaben, die bis dahin auf mehrere Geschwader verteilt waren, von weniger Personal übernommen werden. Die Durchhaltefähigkeit ist deshalb eingeschränkt und nicht für einen Einsatz dieser Art und Dauer ausgelegt. „Die Niederlande haben aus diesem Grund bereits ihre anfänglich beigesteuerte Patriot-Staffel Ende letzten Jahres abgezogen. Wieso sollte das beinahe drei Jahre nach Beginn nicht auch für die Bundeswehr möglich sein?“, so Steinmetz.
Die verteidigungspolitischen Sprecher der Koalitionsfraktionen, Henning Otte (CDU/CSU) und Rainer Arnold (SPD), sprachen sich für einen Verbleib der Bundeswehr in der Türkei aus. Otte sprach von einem „Zeichen für die Verlässlichkeit der Nato“, Arnold von der Erwartung der Türkei, die „eher ein symbolisches politisches Mandat“ von der Nato erwarte. Beide gehen nicht von einer veränderten Gefahrenlage aus.
Die Abgeordneten der Oppositionsfraktionen sahen dies naturgemäß anders. Aber auch vereinzelte Politiker aus dem Regierungslager schlossen sich zumindest der Forderung einer Überprüfung des Mandats aus. Der verteidigungspolitische Sprecher der CSU-Landesgruppe, Florian Hahn, sprach sich für eine Neubetrachtung des Einsatzes aus: „Angesichts der aktuellen Entwicklungen müssen wir diesen Einsatz grundsätzlich überdenken. Wir dürfen uns keinesfalls vor den innenpolitischen Karren von Präsident Erdogan spannen lassen.“ Auch Agnieszka Brugger, sicherheitspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, sieht keinen Automatismus: „Bündnissolidarität ist keine Einbahnstraße und die Stationierung der "Patriots" keine reine Formsache auf unbestimmte Zeit.“
Der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Dr. Hans-Peter Bartels, sieht, ähnlich wie der Deutsche BundeswehrVerband, die Belastungen der Soldaten im Einsatz ebenfalls als Problem an. Bartels spricht von einem Truppenteil, der „viel zu oft im Einsatz ist“.
Ursprünglicher Anlass für die erneute Diskussion war die Entscheidung des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, neben Zielen des sogenannten Islamischen Staates auch Stellungen des militärischen Arms der kurdischen Arbeiterpartei PKK anzugreifen. Inzwischen planen die USA auf Drängen der Türkei eine Flugverbotszone von rund 100 Kilometer Länge an der syrisch-türkischen Grenze.
Zum Zeitpunkt des Beginns der Nato-Mission war der Hintergrund noch ein anderer: Im Zuge des syrischen Bürgerkrieges waren Luftangriffe durch den syrischen Machthaber Assad auf die türkische Bevölkerung befürchtet worden.
„Bündnissolidarität ist ein hohes Gut, von dem Deutschland lange profitiert hat. Aber wenn die Bundesregierung und die Parlamentarier sich für einen solchen Einsatz entscheiden, müssen sie auch dafür sorgen, dass die entsprechenden Kapazitäten vorhanden sind.“, lautet das Fazit von Steinmetz.