Von der Kampfpilotin zur Reserveastronautin und Rettungshubschrauberpilotin
Nicola Winter, bekannt für ihre beeindruckende Karriere bei der Luftwaffe und ihre Rolle als ESA-Reserveastronautin, erzählt im Interview von ihren Erfahrungen, Herausforderungen und Perspektiven.
Frau Winter, Ihre Karriere begann bei der Luftwaffe, wo Sie zur Kampfpilotin ausgebildet wurden. Was hat Sie zu diesem außergewöhnlichen Beruf inspiriert und welche technischen und mentalen Anforderungen waren dabei am herausforderndsten?
Nicola Winter: Es ist ein Klischee, aber es stimmt: Filme wie Top Gun und Internet-Videos haben bei mir eine große Faszination ausgelöst. Wie jeder andere auch, hätte ich nie gedacht, dass ich die Auswahltests wirklich bestehen kann, aber mit guter Vorbereitung ging’s dann doch. Mit Abstand am härtesten in der Ausbildung war es, Scheitern und den Umgang mit direkter, harter Kritik zu lernen. In der Schule war ich immer gut, selbst im Leistungssport war das Feedback sanfter. In der Militärfliegerei brauchen wir aber zwingend ehrliche, direkte, harte Kritik in einem Debriefing. Stundenlang zu hören, was man alles nicht kann und was nicht so lief wie geplant, ist schwierig – vor allem, wenn man sich sehr angestrengt hat. Diese Kritik hören und annehmen zu können und in einem System zu leben, das sich so gern und so viel verbessert, ist unbezahlbar!
Wie hat Sie die Luftwaffe auf Extremsituationen vorbereitet, und inwiefern hilft Ihnen diese Erfahrung heute in Ihrer neuen Rolle als ESA-Reserveastronautin?
Die Luftwaffe steckt sehr viel Mühe und Zeit in die Ausbildung ihrer Soldaten und ihrer Piloten: über das faktische Lernen, den Umgang mit mentalen Herausforderungen, Entscheidungsstärke, Problemlösungsfähigkeiten und Durchhaltevermögen. Die Frage ist nicht die, ob wir den Auftrag irgendwie erledigen, sondern nur WIE wir das hinkriegen. Diese Fähigkeiten waren und sind als Reserve-Astronautin und im restlichen Leben unersetzlich.
Sie wurden als Reserveastronautin ausgewählt. Wie haben Sie von der Möglichkeit erfahren, sich zu bewerben und wie lief der Auswahlprozess ab?
In unserer Branche gibt es sehr viele Raumfahrt-Enthusiasten. Und jeder kennt jeden. Also hat natürlich auch jeder jede angerufen, als klar war, dass es eine neue Auswahl gibt. Dann beginnt die Vorbereitung – für den DLR-Test kann man zum Beispiel lernen. Aber auch der Erfahrungsaustausch untereinander in den verschiedenen Phasen ist sehr wertvoll und kameradschaftlich.
Als Reserveastronautin könnten Sie jederzeit für eine Mission nominiert werden. Wie bereiten Sie sich darauf vor, und gibt es spezielle Fähigkeiten oder Einsatzbereiche im All, auf die Sie sich besonders freuen würden?
Naja, „jederzeit“ ist so eine Sache. Dr. Amelie Schoenenwald und ich sitzen auf der Reservebank, weil Deutschland aktuell sehr wenig Interesse an Forschung und Technologiefortschritt, gerade im All, hat. Bis sich das Blatt gesellschaftlich und politisch wendet, wird es wohl noch etwas dauern. Bis dahin gibt es kleinere Trainings bei der ESA, und wir leben unser Leben aktiv weiter. Ich bin jetzt als Hubschrauberpilotin tätig. Näher kann man an die Fähigkeit, eine Mondlandefähre zu steuern, auf der Erde kaum kommen.
Glauben Sie, dass Ihre Erfahrung als Kampfpilotin auch bei Weltraummissionen von Vorteil ist?
Natürlich – ich glaube vor allem NICHT daran, dass man einfach mit unveränderlichem Talent geboren wird – und dann kann man es halt oder nicht. Ich glaube, dass man alles lernen kann und lernen muss. Auch den Umgang mit Extremsituationen, Stress und Druck. Das lernt man aber nur in Extremsituationen – unter Stress und Druck. Dafür war die jahrelange Ausbildung und Fliegerei in der Luftwaffe entscheidend. Natürlich gibt es aber mehrere Möglichkeiten, diese Fähigkeiten zu erlangen und zu trainieren.
Sie sind sowohl als Kampfpilotin als auch als Reserveastronautin Vorreiterin in einem traditionell männlich dominierten Bereich. Wie haben Sie diese Rolle wahrgenommen, und was bedeutet sie für Sie?
Mir persönlich war das immer völlig egal – ich stehe morgens auf, schaue in den Spiegel und sehe mich als Person mit individuellen Stärken und Schwächen und Augenringen. Ich denke ja nicht: „Och guck, ’ne Frau!“ Auch die Ausbildung selbst ist für alle gleich anspruchsvoll und niemand muss aufgrund des Geschlechts mehr oder weniger leisten. Es gibt eh jeder seine 100 Prozent – wie würde da mehr aussehen?
Und doch wird das Thema ständig von außen an einen herangetragen – nicht im Dienst, aber danach. Wie toll, wie speziell, wie komisch – das nervt auf Dauer ordentlich. Daher ist es inzwischen schon so, dass ich es durchaus als phänomenale Leistung empfinden würde, wenn endlich mal eine deutsche Profi-Astronautin ins All fliegt. Nicht, weil das für sie schwieriger ist als für einen Mann. Vielleicht fällt Frauen der eigentliche Job ja sogar leichter, vielleicht sind wir faktisch besser geeignet. Aber jahrelang gegen die Windmühlen dieser Vorurteile zu reiten, die Befangenheit und die Ablehnung in der deutschen Raumfahrt zu sehen und daran nicht zu verbittern und nicht aufzugeben – das ist schon eine Leistung!
Welche Parallelen sehen Sie zwischen Ihrer Ausbildung bei der Luftwaffe und den Anforderungen in der Raumfahrt?
Die Raumfahrt ist aus der Luftfahrt entstanden. Alle Astronauten waren am Anfang Militärpiloten. Die Verfahren sind ähnlich, die Denkweise auch. Daher sind die Parallelen groß und die Kluft zwischen den Welten sehr klein. Immer geht es um den dreidimensionalen Raum und darum, unsere Interessen dort zu wahren. Wie die US-Luftwaffe und jetzt die US Space Force halte ich den Weltraum für einen Ort von hohem strategischem Wert und für das natürliche Betätigungsfeld für Luftstreitkräfte.
Sie sind möglicherweise die einzige Kampfjetpilotin, die auch als Rettungshubschrauberpilotin tätig ist. Wie kam es zu diesem Wechsel, und wie unterschiedlich waren die Anforderungen beider Rollen – technisch, mental und emotional?
Seit einigen Monaten bin ich beim ADAC als Rettungshubschrauberpilotin, ja. Natürlich mit vielen ehemaligen Luftwaffen- und Heereskameraden. Aber bisher ohne einen einzigen anderen Jettie. Weil der Weg für uns schon länger und härter ist. Im Prinzip muss man die fliegerische Ausbildung nochmal von vorne durchlaufen – und selbst bezahlen. Aber es lohnt sich! Ich war nach meiner Zeit in der Luftwaffe als Rettungssanitäterin tätig und fand den Job klasse. Allerdings verdient man ehrlicherweise gerade genug zum Leben und die Einsätze sind zum Teil mehr Sozialarbeit als Menschenrettung. Die Möglichkeit, dann meine beiden Leidenschaften – Fliegen und Rettungsdienst – zu verbinden, ist für mich ein Lebenstraum. Denn auch bei der Bundeswehr, auch in Jets, retten wir am Ende Leben und dienen der Gesellschaft. Aber es bleibt abstrakt und weit weg. Auf dem Hubschrauber bin ich jetzt sehr nah dran und unmittelbar vor Ort. Das hinterlässt bei Schichtende eine hohe Berufszufriedenheit.
Was waren die größten Herausforderungen beim Umstieg von Hochgeschwindigkeitsjets auf Rettungshubschrauber, und welche Erfahrungen sind Ihnen aus dieser Zeit besonders in Erinnerung geblieben?
Es gab zwei: zum einen eine logistische Herausforderung. Wie bezahle ich die Ausbildung? Wie finde ich neben Beruf und Familie noch genug Zeit dafür? Die Antwort war, dass ich ein paar Jahre gebraucht habe, um die Ausbildung zu beenden. Manche Menschen zweifeln dann schon mit Mitte 30, ob sich ein Berufsumstieg noch lohnt. Mein Ziel mit 35 war, zehn Jahre später auf dem RTH zu sitzen – dann hätte ich immer noch 20 Jahre Zeit, diesen tollen Beruf auszuüben. Jetzt hat es schon fünf Jahre früher geklappt und das ist doch lässig. Zum anderen ist die Hubschrauberfliegerei schon anders als auf dem Jet. Funk, Navigation, Denken, Entscheiden – das ist alles gleich. Aber Notverfahren, wie reagiere ich intuitiv auf welches Problem, was ist gefährlich – das unterscheidet sich erheblich. Bei einem Strömungsabriss muss man im Flugzeug schnell und deutlich die Nase nach unten nehmen und Gas geben. Im Heli muss man hingegen ziehen und den Schubhebel nach unten nehmen – das gab am Anfang schon die eine oder andere Verwirrung. Klar, Jets sind mit 420 Knoten (750 km/h) und mehr unterwegs, jetzt sind es nur 120 Knoten. Und wir fliegen wir in 15 Metern Höhe, nicht 150 Metern. Diese neue Herausforderung jetzt angehen zu dürfen und zu zeigen, was nach 20 Jahren Fliegerei und vielen, vielen Bundeswehr-Flugstunden in mir steckt – das freut mich sehr!