„Die Peschmerga sind ausgesprochen motiviert.“
Oberst i.G. Stephan Spöttel ist seit Juni 2015 Kommandeur des deutschen Einsatzkontingents der Ausbildungsunterstützung im Nordirak. Im Interview mit „Die Bundeswehr“ berichtet er über den Verlauf der Ausbildung kurdischer Kämpfer und über die Einsatzrealität der Bundeswehrsoldaten in Erbil.
Die Bundeswehr: Zunächst eine Frage zu den äußeren Bedingungen des Einsatzes, die uns als Verband natürlich sehr interessieren. Sind die deutschen Soldaten in Erbil gut untergebracht, werden sie gut verpflegt, funktionieren die Verbindungen in die Heimat?
Oberst i.G. Stephan Spöttel: Ja, da gibt es im Moment überhaupt nichts zu bemängeln. Wir werden am 20. September in unser neues Camp umziehen, das unmittelbar vor der Fertigstellung steht. Am Anfang werden wahrscheinlich noch nicht alle Betreuungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, da beispielsweise die Sporteinrichtungen noch ein paar Tage brauchen. Aber auch dort ist zumindest garantiert, dass wir Kommunikation nach Hause haben.
Die Bundeswehr: Derzeit sind Sie noch im Hotel untergebracht. Ist das bisher okay gewesen?
Stephan Spöttel: Gut, damit gehen bestimmte Einschränkungen einher, so haben wir hier eine eigene Bewachung zu stellen. Aber um es kurz zu machen: Im Camp wären wir mit Sicherheit noch besser aufgehoben als hier im Hotel.
Die Bundeswehr: Ist Erbil ein sicheres Umfeld für das Ausbildungsvorhaben? Wie verhält sich die dortige Bevölkerung den deutschen Soldaten gegenüber?
Stephan Spöttel: Erbil wird von uns derzeit als relativ stabil und sicher bewertet. Vor allem deutschen Soldaten gegenüber ist man hier besonders freundlich und dankbar eingestellt, weil die deutsche Bevölkerung in der Auffassung der Kurden sehr viel für das Land getan hat.
Die Bundeswehr: Wie groß ist die Einsatzbelastung der deutschen Soldaten vor Ort?
Stephan Spöttel: Grundsätzlich haben wir hier eine Sieben-Tage-Woche. Ich habe versucht, irgendwo einen freien Tag herauszuschälen, aber jetzt nach drei Monaten können wir sagen, dass das aufgrund der besonderen Bedingungen nicht geht. Unsere Ausbilder stehen in der Regel morgens sehr früh auf, so gegen 3:30 Uhr, frühstücken dann, bereiten sich vor und um 5 Uhr geht schon die Ausbildung los. Das ist dem Umstand geschuldet, dass wir hier teilweise sehr hohe Tagestemperaturen hatten und die Ausbildung so gegen 14 Uhr einstellen mussten, manchmal auch schon etwas früher. Das hängt immer davon ab, wie unsere Peschmerga, unsere auszubildenden kurdischen Sicherheitskräfte, mitmachen können. Im Moment wird es etwas kühler, so dass wir demnächst den Ausbildungstag etwas verschieben können, also später anfangen und abends so lange ausbilden, wie noch Licht da ist.
Die Bundeswehr: Wie sieht es mit Betreuungseinrichtungen aus? Was steht den Soldaten zur Verfügung?
Stephan Spöttel: Im Hotel haben wir die Betreuungseinrichtungen so weit es geht nach unseren Wünschen ausgebaut. Wir haben hier Fitnessmöglichkeiten, Tischtennisplatten, eine Dartscheibe und einen vom Deutschen BundeswehrVerband gesponserten neuen Kicker. Ansonsten gibt es natürlich auch Möglichkeiten wie eine Wii, die aber selten genutzt wird, und jede Menge Filme zum Ausleihen, aber auch dort ist der Andrang relativ gering. Es gibt einmal die Woche einen sogenannten Kino- oder Fernsehabend, an dem man sich auf einen bestimmten Film einigt. Ansonsten sind die Soldaten, wenn sie von der Ausbildung kommen, in der Regel meistens müde, machen etwas Sport, essen und gehen ins Bett.
Die Bundeswehr: Sind Sie mit dem Verlauf der Ausbildung zufrieden? Und wie klappt die Verständigung mit den kurdischen Kämpfern?
Stephan Spöttel: Die kurdischen Kämpfer kommen direkt aus der Front, die haben zunächst zwei, drei, vier Tage frei und kommen dann zu uns in die Ausbildung. Wir wissen aber schon vorher, wo es bei den Bataillonen im Besonderen fehlt und was auf uns zukommt. Wir nehmen vorher Verbindung mit den Vorgesetzten auf und verschaffen uns ein Bild in den jeweiligen Verteidigungspositionen. Die Bataillone, die auf uns zukommen, sind unterschiedlich, meist kommen 500 bis 600 Mann zu uns. Die sprachliche Verständigung klappt dank unserer Dolmetscher sehr gut. Die Kämpfer sind auch ausgesprochen motiviert und wollen lernen – das macht es unseren Ausbildern leicht, die Inhalte an den Mann zu bringen. Man muss natürlich auch sagen, dass die Kurden, die Peschmerga, die zu uns kommen, nicht alle des Lesens und des Schreibens mächtig sind. Da müssen wir einfallsreich sein und den wesentlichen Inhalt durch Erklären und Vormachen und Aufzeigen vermitteln. Aber auch das können unsere Soldaten hervorragend. Also zusammenfassend: Die Verständigung ist hier überhaupt kein Problem.
Die Bundeswehr: Wie kommen die einheimischen Kräfte mit der von Deutschland gestellten Ausrüstung zurecht?
Stephan Spöttel: Gut. Die Ausrüstung ist ja zunächst einmal an das hiesige Verteidigungsministerium geliefert worden, also an die kurdische Regionalregierung. Die haben das zunächst eingelagert in einem großen Lager und dann sukzessive an die Truppenteile verteilt. Die deutsche Ausrüstung ist hier sehr hoch angesehen, vor allem unsere Panzerabwehrwaffe „Milan“, aber auch alle anderen deutschen Ausrüstungsgegenstände, wie die Sanitätsausstattung. Insbesondere die gelieferten Waffen sind von deutlich besserer Qualität als das, was die Peschmerga als Ausrüstung haben.
Die Bundeswehr: Haben Sie auch Rückmeldungen von den Kämpfern über den Verlauf des Kampfes gegen den IS?
Stephan Spöttel: Natürlich! Das gehört mit zu dem Bild, das wir uns vor der Ankunft der Kämpfer machen. Wir schauen uns genau an, aus welchem Frontsektor das Bataillon kommt, wie dort die Gegebenheiten sind, wie oft sie angegriffen werden, ob das eher am Tag oder in der Nacht ist, ob das mit direktem oder indirektem Feuer passiert. All das wissen wir eigentlich, bevor sie zu uns kommen. Unser Konzept beinhaltet auch, dass wir dem Bataillon nach der Ausbildung nochmal einen Besuch abstatten. In der Regel mache ich mir dann mit einem der Ausbilder ein Bild vor Ort. Dabei sprechen wir auch mit dem Vorgesetzten des ausgebildeten Bataillons, um zu erfahren, ob wir mit unseren ausgebildeten Inhalten im Ziel lagen. Und die Resonanz ist eindeutig positiv.
Die Bundeswehr: Also müssen Sie in der Ausbildung nicht nachsteuern?
Stephan Spöttel: Nein, wir versuchen vorher schon so flexibel zu sein, dass wir auf die Bedürfnisse der Peschmerga reagieren können. Diese haben zum Teil sehr unterschiedliche Ausstattungen, wenn wir das vorher wissen, können wir uns schon die Ausbildungsunterlagen für spezielle Ausrüstungsgegenstände besorgen und an diesen Ausrüstungsgegenständen ausbilden. Und ansonsten ist man mit den vermittelten Inhalten in der Infanterieausbildung sehr zufrieden.
Die Bundeswehr: Sie bilden auch Kämpfer eines jesidischen Bataillons aus. Ist es sinnvoll, dass die einzelnen Kompanien von Ausbildern verschiedener Nationen trainiert werden?
Stephan Spöttel: Das Jesiden-Bataillon haben wir hier ausgebildet, das ist richtig, und dabei sind natürlich die Kompanien auch durch unterschiedliche Nationen ausgebildet worden. Aber wir haben für viele dieser unterschiedlichen Nationen ein kleines Dach, das ist das Kurdistan Training Coordination Center, das Ausbildungskoordinierungszentrum hier für den Nordirak, dort bin ich auch mit meinem zweiten Hut der stellvertretende Kommandeur. Das Zentrum wird derzeit von einem italienischen Oberst geführt. Dort wird sehr sorgfältig abgestimmt, wie die Ausbildung durchgeführt und was vermittelt wird. Deswegen macht es im Grunde keinen Unterschied, ob eine Kompanie von einem italienischen Ausbilder ausgebildet wird und eine andere von einem deutschen. Die Inhalte sind die gleichen. Und auch die Vorschriften, auf deren Grundlage ausgebildet wird, sind gleich. Insofern haben wir ein hohes Maß an Standardisierung und deswegen sind auch die Jesiden aus unterschiedlichen Kompanien dennoch gleich ausgebildet.
Die Bundeswehr: Die Ausbildungsmission im Irak ist zunächst bis 31. Januar 2016 befristet. Wird die Bundeswehr nach Ihrer Ansicht dort auch über diesen Zeitpunkt hinaus gebraucht werden?
Stephan Spöttel: Daran, dass sie gebraucht wird, besteht für mich kein Zweifel, denn der Ausbildungsbedarf ist sehr groß. Das kann man an folgenden Zahlen deutlich machen: Wir haben jetzt etwa 3.500 Peschmerga ausgebildet, was bedeutet, dass es noch rund 130.000 nicht ausgebildete Kämpfer gibt. Es kann natürlich nicht das Ziel sein, jeden einzelnen Schützen in jedem Bataillon durch deutsche Soldaten oder Koalitionskräfte auszubilden. Wir müssen vielmehr die Peschmerga mit unserer Ausbildung dazu befähigen, selbst in der Lage zu sein, die Ausbildungsinhalte zu vermitteln. Wir sind auch schon dabei: Wir bilden parallel zu den Bataillonen bereits Ausbilder aus, die dann ihr Wissen an andere Ausbilder weitergeben. So erreichen wir einen Multiplikator-Effekt und damit auch eine langfristige Wirkung. Das Ziel geht also eindeutig dahin, die Ausbildungsfähigkeit der Peschmerga zu verbessern, sodass sie selbst in der Lage sind, ihre Ausbildung zu bestreiten.
Die Bundeswehr: Vielen Dank für das Gespräch.