Oberst André Wüstner fordert, dass die Kapazitäten der Rüstungsindustrie deutlich erhöht werden müssen, damit die Bundeswehr mit Blick auf Munition und Ausstattung wieder "vor die Welle" kommt. Hier eine Panzerhaubitze 2000 mit Ünbungsmunition. Foto: Imago/Trotzki

Oberst André Wüstner fordert, dass die Kapazitäten der Rüstungsindustrie deutlich erhöht werden müssen, damit die Bundeswehr mit Blick auf Munition und Ausstattung wieder "vor die Welle" kommt. Hier eine Panzerhaubitze 2000 mit Übungsmunition. Foto: Imago/Björn Trotzki

26.10.2023
Von Michael Backfisch

Wüstner: Zeitenwende für die Bundeswehr in Zeitlupe

Der Chef des BundeswehrVerbandes, Oberst André Wüstner, schlägt Alarm: Deutschland sei aktuell kaum auf einen Verteidigungsfall vorbereitet, sagte er den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.
 
Berlin. Der Vorsitzende des BundeswehrVerbandes, Oberst André Wüstner, hat vor der Gefahr eines russischen Angriffs gewarnt und die unzureichende Ausstattung der deutschen Streitkräfte kritisiert. „Ich halte es für gut möglich, dass Putin über kurz oder lang sogar eine räumlich begrenzte konventionelle Auseinandersetzung – einen Krieg – mit einem Bündnispartner, und damit mit uns, führt. Ich frage: Wie sind wir darauf vorbereitet? Ich fürchte: Schlecht“, sagte Wüstner.

„Die Bedrohungslage für das Bündnis und damit für Deutschland ist äußerst angespannt“, fügte Wüstner hinzu. „Wir brauchen eine höhere Geschwindigkeit im Zulauf von Hardware, Munition und Waffensysteme, Logistik, sanitätsdienstliche Unterstützung.“ Es gelte noch immer, was die Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Eva Högl (SPD), bereits im letzten Jahresbericht beschrieben habe: „Es fehlt nahezu an allem.“

Scharfe Kritik an Bundeskanzler Olaf Scholz

Der Chef des BundeswehrVerbandes forderte „schnellstens“ eine Tagung des Bundessicherheitsrates und des Koalitionsausschusses. Diese müssten sich mit den „möglichen Worst-Case-Szenarien der nächsten Jahre“ auseinandersetzen und konsequent Schlüsse ziehen. „Es muss zwingend in die bereits laufenden Haushaltsverhandlungen eingegriffen und der Verteidigungsetat für 2024 signifikant angehoben werden“, betonte Wüstner. „Die Kapazitäten der Rüstungsindustrie Deutschlands müssen derart erhöht werden, dass wir mit Blick auf Munition und Ausstattung endlich wieder ‚vor die Welle‘ kommen.“

 

Wüstner übte scharfe Kritik an der Umsetzung der von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am 27. Februar 2022 – drei Tage nach Beginn des russischen Einmarsches in die Ukraine – angekündigten „Zeitenwende“. „Es kann nicht sein, dass uns die Welt um die Ohren fliegt, und wir einfach weiter machen wie bisher! Die Zeitenwende, soweit sie die Bundeswehr betrifft, vollzieht sich in Zeitlupe“, rügte Wüstner. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) habe zehn Milliarden Euro mehr für den Verteidigungshaushalt verlangt – und sei damit in der Ampelkoalition gescheitert. „Das Ergebnis: Die qualitative Einsatzbereitschaft der Bundeswehr fällt immer weiter. Wir sind weit davon entfernt, die Ankündigung von Bundeskanzler Scholz, bald die größte konventionelle Armee im Rahmen der Nato zu stellen, einzuhalten, von den Nato-Verpflichtungen ab 2025 ganz zu schweigen“, so Wüstner.

BundeswehrVerband: Russland nicht aus den Augen verlieren

Deutschland habe in der Vergangenheit auf globale Krisen und Kriege zu passiv reagiert. Wenn die Ampel jetzt nicht handele, „werden wir uns später fragen müssen, weshalb wir im Herbst 2023 weiter im Schlafwandel-Modus agiert haben“, erklärte der Vorsitzende des BundeswehrVerbandes. „Wir dürfen nicht vergessen, deutsche Regierungen wurde zuletzt von der Annexion der Krim überrascht, vom Drohnenkrieg um Bergkarabach. Und vom brutalen Angriff Russlands auf die gesamte Ukraine, wobei Putin davon ausgeht, den längeren Atem zu haben. Und nun kam der unerwartete barbarische Angriff der Hamas auf Israel, gestützt von der Iran-Russland-Connection.“

Wüstner warb eindringlich für einen Blick auf die globale Lage. „Wir müssen das größere Bild sehen: Es besteht aus einer Vielzahl von Krisen und Konflikten, die alle ineinandergreifen. Und wir müssen die Konsequenzen daraus ziehen“, unterstrich der Chef des Bundeswehrverbandes. „Noch ist völlig offen, ob wir vor einem Flächenbrand im Nahen Osten stehen. Dennoch dürfen wir keine Sekunde das Agieren des russischen Präsidenten Putin aus den Augen verlieren: Er investiert weiter enorm in sein Militär, die Kriegswirtschaft in Russland läuft auf Hochtouren. Neben seinem imperialistischen Angriffskrieg führt er Desinformationskampagnen, zündelt am Balkan und destabilisiert den Sahel.“

Appell an Bundesregierung: „Jegliche Naivität ablegen“

Eine Stärkung der Bundeswehr sei auch deshalb nötig, weil die Vereinigten Staaten zunehmend im Pazifik und nun auch im Nahen und Mittleren Osten gebunden seien. „Wann wäre die Gelegenheit, wenn nicht jetzt, Führung zu zeigen, die USA zu entlasten und seitens Deutschlands in Europa den Geist einer Verteidigungsunion wieder aufleben zu lassen“, so Wüstner. Andernfalls seien Deutschland und Europa in den kommenden Jahren lediglich Beobachter großer Ereignisse. „Wir müssen jetzt erkennen, dass wir uns von einer Epoche des Friedens in eine Zeit der kriegerischen Auseinandersetzung bewegen. Wir müssen jegliche Naivität ablegen und endlich wieder verteidigungs- und abschreckungsfähig werden.“ Und „Jede Regierung, die innere und äußere Sicherheit als Kern staatlichen Handelns erneut vernachlässigt, handelt verantwortungslos!“

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