Soldaten stehen an ihren Fahrzeugen im Camp Castor in Gao/Mali. Foto: Bundeswehr/Sebastian Wilke

Nichts wie weg

Von Philipp Kohlhöfer und Frank Jungbluth

Soldaten stehen an ihren Fahrzeugen im Camp Castor in Gao/Mali. Foto: Bundeswehr/Sebastian Wilke

Die Frage ist nicht ob, sondern wann: Das Ende des Einsatzes der Bundeswehr in Mali ist beschlossene Sache. Spätestens im Mai 2024 verlassen die Deutschen das Land.  Militärisch ist der Einsatz schon länger nicht mehr sinnvoll.

Berlin/Gao.Das Ziel der Mission war es, den Frieden zu wahren, aber der Frieden ist gar nicht bedroht. So zumindest sieht das die Putschregierung Malis. Sie geht vielmehr davon aus, dass die UN-Mission MINUSMA nur dazu dient, die Autorität der Regierung und die Selbstbestimmung des Landes zu untergraben – und so scheint am Ende alles ein großes Missverständnis für alle.

Die Bundeswehr ist im Rahmen der UN seit 2013 in Mai engagiert, zuerst nur mit einem kleinen Kontigent in erster Linie mit Logistikeinheiten, seit 2016 allerdings auch mit anderen Kräften, bis zu 1400 Männer und Frauen waren vom Bundestag mandatiert, knapp eintausend Männer und Frauen sind noch dort, unter anderem für Aufklärung, Sicherung und Versorgung. Der Großteil des Einsatzkontingents war und ist im Nordosten stationiert, in Camp Castor in Gao. Die Sicherung des Friedens sowie der Schutz der Menschenrechte, das klappt spätestens seit dem Militärputsch im Mai 2021, dem Dritten seit 2012, nicht wirklich. Die Deutschen sind, ebenso wie die restlichen westlichen Kräfte, im Land nicht mehr erwünscht.

Der Abzug ist beschlossene Sache. Bis Mai 2024 soll der letzte deutsche Soldat das Land verlassen haben. Bis dahin kann noch viel passieren, wie der Militärputsch in einem der wenigen demokratischen Land, im Nachbarstaat Niger. „Für den Deutschen Bundeswehrverband hat die Sicherheit der Kameradinnen und Kameraden im Einsatzgebiet Mali und Niger höchste Priorität. Wir sind hochgradig sensibel bei Nachrichten aus dem Krisengebiet, um uns immer aktuell auf die Lage einstellen zu können“, sagt Stabsfeldwebel Thomas Schwappacher, erster Stellvertretender Vorsitzender des BundeswehrVerbandes. „Die Kameradinnen und Kameraden können sich darauf verlassen, dass der Verband fest an ihrer Seite steht. Wenn es Fragen gibt, sind unsere 15 Ansprechpartner Auslandseinsatz in Niger und Mali jederzeit erreichbar. Angehörige, die Informationen oder Unterstützung benötigen, können sich an den BundeswehrVerband wenden“, so Schwappacher.

Vor Ort, so meldet es ein Bundeswehrangehöriger, sei die Lage in der nigrischen Hauptstadt Niamey nicht klar zu erkennen. Bei den deutschen Soldaten in Niger und Mali sein die Sicherheitsmaßnahmen in den Camps verstärkt worden, die Soldatinnen und Soldaten sind angehalten, sich so wenig wie möglich außerhalb der Camps zu bewegen.

Der Bundesvorsitzende Oberst André Wüstner (4.v.l.) bei Soldaten des Einsatzkontingents MINUSMA in Mali Ende des Jahres 2022. Foto: DBwV

Der Bundesvorsitzende Oberst André Wüstner (4.v.l.) bei Soldaten des Einsatzkontingents MINUSMA in Mali Ende des Jahres 2022. Foto: DBwV

Ende des Jahres 2022 war auch der Bundesvorsitzende in Niger und Mali bei den deutschen Soldaten, um sich selbst ein Bild der Lage zu machen. „Aus der Erfahrung der Vielzahl von Truppenbesuchen der letzten Jahre können wir im DBwV zu Recht sagen: Wir sind nach wie vor da, wo auch unsere Mitglieder sind“, wie der Bundesvorsitzende Oberst André Wüstner betont. „Wir sind stolz auf unseren Zusammenhalt über Grenzen hinweg und wissen, was alle Soldaten und Veteranen wissen: Unser Auftrag ist die Klammer, Kameradschaft das Fundament.“

Malis Militärregierung hat sich nach dem Putsch im vergangenen Jahr Moskau zugewendet, die Franzosen etwa sind mit ihren Anti-Terror-Truppen bereits abgezogen und durch rund 15.000 Söldner der Wagner- Gruppe ersetzt, die deren Kasernen übernommen haben. Gleiches gilt für den Flughafen von Gao, von dem das deutsche Feldlager nur einen Kilometer entfernt ist.

Für die Bundeswehr ist der Abzug im Mai 2024 längt beschlossene Sache – es ist allerdings eher unwahrscheinlich, dass es so lange dauert. Die Idee bei der letztmaligen Verlängerung des Einsatzes war: Nicht unter Termindruck geraten, einen geordneten Abzug, man könnte auch sagen Rückzug, einleiten. Auf keinen Fall so chaotisch abziehen wie aus Afghanistan. Nach dem Afghanistan-Modell sieht es zwar im Moment nicht aus, aber bis Mai 2024 wird es vermutlich auch nicht dauern, schließlich hat der Abzug am 1. Juni begonnen und die Sicherheitslage im Land verschlechtert sich so schnell, dass man fast zusehen kann. Überfluggenehmigungen gibt es mal und mal nicht, Drohnenflüge sind verboten und wieder nicht, alles sehr unzuverlässig. Aufklärung kann so nicht mehr betreiben, der Flughafen in Bamako darf zudem nicht mehr für Aufenthalte benutzt werden. Ein erfolgsversprechendes militärisches Engagement ist so nicht mehr möglich.

Dabei ist Mali nicht das einzige Problem für die Bundeswehr - vielleicht nicht mal das größte Organisieren sollen den Abzug nämlich die 100 Soldaten, die im Niger stationiert sind, in Niamey. In der nigrischen Hauptstadt ist der Lufttransportstützpunkt der Bundeswehr, der Flugplatz in Gao ist für den Transport des Equipments zu klein. Weil die Logistik aus dem Niger organisiert wird, ist das Nachbarland Malis auch so etwas wie die Basis für den Abzug – das war zumindest bis zum Putsch der Plan. Bis dahin war Niger von der Bundesregierung auch als einzig verlässliches Land in der Sahelzone definiert worden und als Musterbeispiel für sicherheitspolitische Zusammenarbeit. Dass ein Partner wichtig wäre, ist offensichtlich: Die Region ist ein bedeutender Schauplatz geopolitischer Machtkämpfe. Nirgends ist der islamische Terrorismus stärker gewachsen als in der Sahelzone. Nicht umsonst betreibt die US-Armee dort mehrere Drohnenstützpunkte, deren Einsätze einen großen Teil Nordostafrikas abdecken. Die Region hat darüber hinaus entscheidende Bedeutung für die Migrationsströme bzw. dient deren Verhinderung. Zu guter Letzt: Moskau mischt in der gesamten Sahelzone in erheblichem Maße mit. Mali hat sich, genau wie Burkina Faso, dem Kreml zugewendet. 

Zwischen den Russen und der Militärjunta gibt es schon lange enge Verbindungen: Zahlreiche der Putschisten sind in Russland militärisch ausgebildet worden, einige Minister der Übergangsregierung studierten in Moskau. Der Kreml mischt sich wirtschaftspolitisch ein, verspricht etwa Dünger und Treibstoff, und ist mittlerweile auch der größte Waffenlieferant der Region und Afrikas generell. Weil gerade in den ärmsten Ländern wie Mali und jetzt möglicherweise bald dem Niger unter anderem mit Bergbaukonzessionen bezahlt wird, vergrößert sich der russische Einfluss beständig.

Obwohl die Terrorbekämpfung nie offiziell Teil des Auftrags war, die Franzosen haben das bis zu ihrem Abzug erledigt. Die Deutschen dagegen das malische Militär ausgebildet. Dieser Teil der Mission wurde schon Anfang 2022 beendet – auch, weil die Russen schon damals immer mehr Einfluss erlangten und sowohl sie als auch das Militär Malis keinerlei Rücksicht auf die Zivilbevölkerung nehmen. Russlands Einfluss dürfte auch der eigentliche Grund sein, warum die Bundeswehr durch passive Aggressivität weggemobbt wird.

Die komplette Region droht nun zu scheitern, es ist zumindest nicht unwahrscheinlich, dass sich in der Sahelzone in Zukunft failed state an failed state reiht, schon jetzt bringen islamistische Gruppen immer größere Gebiete unter ihre Kontrolle – was auch für die Europäer bedrohlich ist: Schließlich droht der Export von Terrorismus und eine unkontrollierte Flüchtlingsbewegung. 

Beim Blick auf die Landkarte scheint die Sahelzone weit weg zu sein. Die Wahrheit ist: Das ist vor unserer Haustür. Das Gebiet ist der direkte Zugang zu Marokko, Algerien, Tunesien und Libyen. Allesamt Staaten, letzteres selbst ein failed state, auf deren Mithilfe die EU bei der Kontrolle ihrer Südgrenze zwingend angewiesen ist - egal, ob es um Migration oder Terrorismus geht. Das Gebiet ist riesig, die Grenzen in der Sahara niemals zu kontrollieren. Unkooperative, teilweise sogar feindlich-gesonnen Regierungen in der Sahelzone bedeutet daher nichts anderes als: Wir brauchen dringend einen Plan B für die Region.

Am Abzug selbst führt kein Weg vorbei, alles andere ist schlicht zu gefährlich. Zwar hat die Regierung in Bamako zugesichert, das alles geordnet ablaufen kann, aber was diese Zusage am Ende wert ist, muss sich erst noch zeigen. Kommt es hart auf hart, ist ein Abzug innerhalb weniger Tage möglich, der dann aber, siehe Afghanistan, aussehen wird, wie eine Flucht. Schließlich müsste die Bundeswehr tonnenweise Material zurücklassen, etwa 1500 Standard- Container. Für ein Containerschiff ist das zwar nicht viel, was anderes ist es allerdings, wenn man, mangels Hafens, alles ausfliegen muss – und einem das Fliegen so schwer gemacht wird, wie es nur geht. Zumal die Putschisten in Niger den Luftraum gesperrt haben und keiner weiß, wie es dort weitergeht. Dazu kommt, dass die Stimmung sowohl in Mali als auch im Niger immer aggressiver wird: Angefeuert von russischer Propaganda bezeichnen Teile beider Gesellschaften die UN-Truppen als Besatzer.

Militärisch macht der Einsatz bereits jetzt keinen Sinn mehr, schließlich ist die Bundeswehr in erster Linie nur noch damit beschäftigt, sich selbst zu schützen – zumal große Kampfverbände, etwa die Tiger-Kampfhubschrauber, nicht mehr im Land sind. Von den etwa fünfzig Mann starken Quick Reaction Force mal abgesehen. Und je mehr Ausrüstung weg ist, desto weniger wird die Bundeswehr leisten können.

Auch bei angespannter Sicherheitslage gilt: Den Tagen des anstrengenden Dienstes muss auch Ausgleich folgen, gelebte Kameradschaft, eine gemeinsame Feier. Dafür dürfte wohl in diesen Tagen die letzte Gelegenheit gewesen sein: Am 1. August hat der Deutsche BundeswehrVerband die Kameradinnen und Kameraden zur Party ins Camp Castor eingeladen. „Die Getränke des Abends sponserte der deutsche BundeswehrVerband“, berichtet Feldwebel Janine Kroß, einer der Ansprechpartnerinnen Auslandseinsatz des DBwV in Mali. Die mitreißenden House-Beats von DJ Kettenfett (Hauptfeldwebel Stief, eingesetzt bei der Feldjägereinsatzkompanie (13./1), sorgte für viel Stimmung am Abend. Zwischenzeitliche Karaoke-Einlagen boten den Gästen ebenfalls Abwechslung. Insgesamt war die Veranstaltung ein voller Erfolg verbunden mit Spaß und einem Zusammenkommen des Kontingents.