Rückblick: Ein Jahr Ukrainekrieg
Am 24. Februar ist es genau ein Jahr her: Russlands Präsident Wladimir Putin startet seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine – mit zahlreichen Folgen. Der Westen liefert Waffen, traditionell neutrale Länder wollen plötzlich in die NATO.
Von Christian Höb
„Wir sind auf alles vorbereitet, wir werden siegen.“ Diesen Satz sagt der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am 24. Februar 2022 in eine Kamera, das Video wird auf Facebook gepostet. Es ist der Tag, an dem Russland seinen feigen Angriffskrieg gegen die Ukraine gestartet hat. Selenskyj ruft den Kriegszustand aus und appelliert an die Bürger seines Landes: Verfallt nicht in Panik!
Der russische Präsident Wladimir Putin warnt andere Staaten, sich einzumischen. Sonst würde das Konsequenzen nach sich ziehen, wie man sie noch nie erlebt habe. Es wird nicht die letzte Drohung des 70-Jährigen bleiben.
Mit dem Angriff auf die Ukraine werden die schlimmsten Ängste wahr, die nach der Annexion der Krim aufgekommen sind. Soldaten ohne Rangabzeichen und Hoheitszeichen – offenbar russische Spezialtrupps – hatten im Februar 2014 strategisch wichtige Punkte auf der Krim besetzt. Schon im März wird die Krim nach einem strittigen Referendum (die Generalversammlung der Vereinten Nationen erklärt es für ungültig) in die Russische Föderation eingegliedert.
Die Annexion der Krim hat Folgen, denn das Stimmungsbild in der Ukraine wandelt sich. Die Zahl derer, die für einen NATO-Beitritt sind, steigt im Jahr 2018 auf 44 Prozent. Putin wirft in einer Fernsehansprache dem Militärbündnis eine „unverschämte Aneignung“ der Ukraine vor. Das Land sei ein „untrennbarer Teil“ der russischen Geschichte und habe nie eine „echte Staatlichkeit“ gehabt.
Putins Ziel ist es auch, die Westintegration und Europäisierung der Ukraine zu verhindern. Darum die Annexion der Krim. Darum der Angriffskrieg auf die Ukraine. Offiziell will Russland das Land „demilitarisieren“ und „entnazifizieren“. Und zwar in ziemlich kurzer Zeit, wenn es nach dem russischen Präsidenten geht. Putins Plan ist ein Blitzkrieg, innerhalb weniger Tage will Russland die Ukraine überrumpeln und die Hauptstadt Kiew mit ihren knapp drei Millionen Einwohnern erobern. Doch der Plan scheitert.
Denn die Ukrainer schlagen sich verblüffend tapfer. „Fällt Bäume, baut Barrikaden, verbrennt Reifen! Nutzt alles, was ihr zur Hand habt“, heißt es kurz nach Kriegsbeginn in einem Aufruf der Regierung. „Die Besatzer müssen verstehen, dass sie hier nicht erwünscht sind und dass ihnen in jeder Straße Widerstand geleistet wird.“ Dabei helfen auch Molotowcocktails.
Die Kampfmoral der Verteidiger scheint höher als die der Angreifer. Zuletzt häufen sich Berichte über den zunehmenden Unmut in der russischen Armee. Rekruten klagen über minderwertige Schutzwesten und sinnlose Marschübungen. Auch von Munitionsproblemen wird berichtet.
Die Ukraine schlägt sich wacker – auch dank Hilfe aus dem Westen, der als Einheit auftritt. Nur wenige Wochen nach Kriegsbeginn finden in Brüssel Gipfeltreffen von NATO, G7 und EU statt, es folgt ein demonstrativer Schulterschluss. Es werden zahlreiche Sanktionen gegen Russland verhängt, zum Beispiel im Finanz-, Energie- und Industriesektor. Die Ukraine erhält humanitäre Hilfslieferungen; Ausbildungsmissionen für Streitkräfte der Ukraine werden beschlossen. Viele Staaten liefern Waffen, darunter auch Deutschland.
Laut Angaben der Bundesregierung sind 30 Flakpanzer des Typs Gepard in der Ukraine, sieben weitere sollen folgen. Geliefert worden seien außerdem fünf Mehrfachraketenwerfer MARS II sowie 14 Panzerhaubitzen 2000. Ebenfalls zugesagt hat die Bundesregierung 40 Schützenpanzer Marder, drei IRIS-T SLM Luftverteidigungssysteme sowie zwei Luftraumüberwachungsradare – um weitere Beispiele zu nennen.
Der neue Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hat für das Frühjahr 2023 Waffen und Ausrüstung im Wert von einer Milliarde Euro für die Ukraine angekündigt. Der Gesamtumfang der deutschen Militärhilfe seit Kriegsbeginn würde so auf 3,3 Milliarden Euro steigen.
Streit hatte es zuletzt um die Lieferung von Kampfpanzern gegeben. Doch auch dieser Punkt ist nun geklärt: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) erklärte, dass Deutschland 14 Leopard-2-Panzer schicken werde. Die USA steuern 31 Abrams bei, Großbritannien 14 Challenger 2. Außerdem haben Polen, Norwegen, die Niederlande und Spanien angekündigt, sich an der Panzer-Allianz zu beteiligen. Ein weiteres starkes Signal in Richtung Russland.
Oberst André Wüstner, Vorsitzender des Deutschen BundeswehrVerbandes, zu den Leopard-Lieferungen: „Die Entscheidung zur weiteren Unterstützung der Ukraine ist spät gefallen, aber immerhin. Ich hoffe sehr, dass es den tapferen Ukrainern damit gelingt, den Angriffen der russischen Armee weiter standzuhalten und ihre territoriale Integrität wiederherzustellen. Und es ist gut, dass jetzt Klarheit herrscht und wir den Blick wieder auf grundsätzlichere Fragen lenken können.“
Denn die Bundeswehr sei in einer prekären Lage, so Wüstner. „Mit dieser Lieferung wird die Verteidigungsfähigkeit national und auch im Bündnis weiter geschwächt“, erklärte Wüstner und fordert: „Wir brauchen jetzt eine Art Kriegswirtschaft.“
Was Hoffnung macht: Russlands Angriffskrieg lässt Schweden und Finnland umdenken, sie wollen nach Jahrzehnten der Neutralität der NATO beitreten. Es wäre ein historischer Schritt. Finnland teilt sich eine 1300 Kilometer lange Grenze mit Russland.
Die genauen Todeszahlen nach einem Jahr Krieg sind unklar. Das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte spricht in einem Bericht aus dem Januar 2023 von mehr als 6600 getöteten und mehr als 10.500 verletzten Zivilisten. Laut Angaben des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen haben seit Kriegsbeginn 13,7 Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer das Land verlassen. Etwa die Hälfte sei aber inzwischen wieder zurückgekehrt. Mehr als 1,4 Millionen Menschen in der Ostukraine haben keinen Zugang zu fließendem Wasser.