Der Koloss und die Männer, die ihm ihr Leben anvertrauen

An der Panzertruppenschule in der niedersächsischen Garnisonstadt Munster werden seit zwei Monaten ukrainische Panzermänner am Marder und am Leopard 2 A6 ausgebildet


Dmitri kennt den Gegner gut. Er kämpft seit einem Jahr an der Ostfront der Ukraine, in den Gebieten bei Bachmut und Melitopol. In Dmitris Gesicht hat sich der Krieg eingegraben wie in einen Unterstand, der von Granatsplittern zerwühlt ist. Dimitri, Denis, Daniil und Oleksandr kennen den Krieg zu gut, sie leben im Krieg, da sind sechs Wochen an der Panzertruppenschule in Munster fast so etwas wie Erholungsurlaub, auch wenn die Ausbildung hart und anspruchsvoll ist. Dmitri sagt: „Die Russen sind Feiglinge.“

Sechs Wochen, um mit dem vermutlich besten Kampfpanzer der Welt ins Gefecht zu ziehen. Sechs Wochen, um zu lernen, wie man aus der Bewegung blitzschnell schießt und mit tödlicher Präzision auch trifft. Sechs Wochen, um das Gefühl zu stärken, dass es die kleine Ukraine gegen den mächtigen Feind aus dem Osten, die russische Armee mit ihren scheinbar unendlichen Reserven an Menschen und Material, doch noch schaffen kann. „Dafür kämpfen wir, dafür leben wir”, sagt Oleksandr. „Vielleicht sterben wir auch dafür.”

62 Tonnen schwer, knapp elf Meter lang: Der Kampfpanzer Leopard 2 A6 ist für viele der Gamechanger im Ukraine-Krieg. Hier, in Munster, wird ausgebildet. 18 der modernen Waffensysteme sind bereits in die Ukraine geliefert. Foto: DBwV/Yann Bombeke

Denis, der 38-jährige Familienvater, hat schon 2017 im Donbas gekämpft, gegen die vermeintlichen Separatisten, die von Russland ausgerüstet sind und unterstützt werden. „Die Russen”, sagt er, „sind nicht motiviert. Sie wissen nicht, wofür sie kämpfen. Sie verstehen uns und unser Land nicht, auch wenn viele Ukrainer russisch sprechen. Es sind doch zwei Welten, zwei ganz verschiedene Arten zu leben. Deshalb verteidigen wir unsere Welt, unser Land und unsere Art zu leben so stark. Damit haben die Russen nicht gerechnet.”

Es ist Zigarettenpause, dazu trinken die Männer starken Kaffee. Es ist 11 Uhr am Vormittag. Dmitri, Denis, Daniil und Oleksandr sind seit sechs Uhr auf den Beinen. Um 7 Uhr beginnt der Dienstbetrieb für die ukrainischen Kameraden. Bis abends 22 Uhr wird trainiert an den Waffensystemen. Der Schützenpanzer Marder, für die Bundeswehr ein Oldie mit 52 Jahren Dienst auf dem Buckel, und der Kampfpanzer Leopard 2 A6. 62 Tonnen schwer, 10,97 Meter lang, das Rohr elf Meter, 3,70 Meter breit. Das ist die Hoffnung aus Stahl für die ukrainische Armee. Der Leopard ist schon zum Fürchten, wenn er nur dort steht auf dem nassen Rassen neben den Bäumen auf dem Trainingsgelände. Wenn seine 120-Millimeter-Granate trifft, dann bleibt nicht mehr viel vom gegnerischen Panzer.

Die vier Panzersoldaten aus der Ukraine haben mit T62 und im T72 aus den Baureihen der alten Sowjetunion gekämpft. Oft haben die Systeme keine Wärmebildtechnik, die im Leopard 2 A6 gilt als eine der besten in Kampfpanzern. Selbst der Marder hat die Technik, deshalb ist selbst der Schützenpanzer, der kurz vor der Pension ist, so wichtig für die Kameraden auf den Gefechts- und Schlachtfeldern der Ukraine. „Damit können wir auch in der Dunkelheit angreifen und nachts kämpfen”, weiß Denis. Die russischen Gegner haben diese Technik meistens nicht, in alten Kampfpanzern und im Schützenpanzer BMP überhaupt nicht.

Ist der Leopard also die Waffe, die alles verändert in diesem gnadenlosen Krieg? „Ja“, sagt Daniil, „denn er verschafft uns die Überlegenheit, die wir als zahlenmäßig unterlegene Armee so dringend brauchen“. Für die ukrainischen Panzersoldaten sind die Deutschen Freunde und die Waffen aus Deutschland Gottesgeschenke. „Wir sind sehr froh, dass sie uns unterstützen und auch die anderen Partnerstaaten der NATO. Ohne die Hilfe, die Deutschland und andere Staaten uns liefern, würde es jetzt wohl keine Ukraine mehr geben. Mit unserem mangelhaften Material allein könnten wir den russischen Angriffen kaum widerstehen.”

Bislang haben die ukrainischen Soldaten in erster Linie mit alten Kampfpanzern sowjetischer Herkunft gekämpft, wie dem T-72. Nun liefert der Westen modernere Fabrikate wie Leopard, Abrams und Challenger. Foto: Ukrainische Landstreitkräfte

Hauptmann Steven (30) ist Ausbilder an der Panzertruppenschule. Er kennt den Leopard 2 A6 nur zu gut. Man kann sagen, er kann das Waffensystem im Schlaf bedienen. Er ist überzeugt, dass der Panzer aus Deutschland den Ukrainern spürbar helfen wird. „Schnelligkeit im Denken. Und Reaktionsfähigkeit, das ist entscheidend für die Besatzungen”, sagt er. In diesen Tagen trainiert er zusammen mit den anderen Ausbildern erfahrene Panzermänner der ukrainischen Armee. Beim Durchgang davor waren viele junge Kameraden aus dem Kriegsgebiet dabei. 18-, 19-Jährige. Kaum erfahren, wenig geübt. Aber genau darauf kommt es an, auf die Übung, auf die Erfahrung. Diese Fähigkeiten können im Ernstfall Leben retten und in der Ukraine ist jeden Tag Ernstfall. „Wenn man eine ausgebildete, eingespielte Besatzung hat, die ihre Arbeit und das System beherrscht. Männer, die beim Beurteilen des Geländes und bei der Lagebeurteilung immer einen Schritt vorausdenken, dann ist man im Vorteil.“ Der Panzerkampf ist ein schnelles Gefecht. Wer zuerst trifft, überlebt. Das ist die todsichere Arithmetik des Krieges. Der Experte aus der Truppe sagt auch: „Der Leopard 2 ist den russischen Systemen überlegen. Was den Rechner, die Optiken, die Wärmebildtechnik angeht. Aber die Schlagkraft so einer Waffe ist eine Kombination aus Besatzung und der taktischen Doktrin, wie er eingesetzt wird. Wenn ich den Leopard 2 auf eine offene Freifläche stelle, ist das schlecht. Der größte Schutz, den der Panzer hat, ist seine Agilität und Beweglichkeit. Das wollen wir vermitteln bei diesem Lehrgang, in diesen sechs Wochen.”

Unser Dolmetscher ist Berufssoldat. Daniil ist vom ersten Tag des Krieges an im Einsatz. Der Stabsoffizier ist verheiratet, Vater einer kleinen Tochter. Er stand in einem der Mehrfamilienhäuser in einem Vorort von Kiew, wo sie die russischen Angreifer am 24. Februar erwartet haben. Hinter ihm und an seiner Seite – Kameraden. Das Sturmgewehr AK47 im Anschlag, Panzerabwehrgranaten in der geballten Faust. Grimmige Entschlossenheit, aber auch Angst. „Als wir die Schüsse und Explosionen gehört haben, wussten wir, es geht um Leben und Tod”, erinnert er sich an die Tage im Februar vor einem Jahr. 150 Meter vor seiner Stellung halten andere Kämpfer, auch Hausfrauen und alte Menschen mit Molotow-Cocktails bewaffnet, die Russen auf. Die Feuerwalze, der erbitterte Widerstand zwingt die Angreifer zum Rückzug aus Kiew. Sie werden sich bitter rächen für diese erste Niederlage des Krieges, den sie der Ukraine aufgezwungen haben.

Jetzt übersetzt Daniil in Munster für seine Kameraden bei der Ausbildung. Ein Feldwebel der Bundeswehr erklärt auf dem Turm des Leopard 2 A6 liegend den aufgesessenen Ukrainern, wo was im High-Tech-Turm des modernen deutschen Kampfpanzers zu finden ist. „Wenn eine Besatzung fit ist, kann sie den Leopard in wenigen Minuten starten und einsatzbereit machen”, erklärt Ausbilder Jannik, ein Feldwebel. Auch das ist eine Art Lebensversicherung. Oleksandr hört aufmerksam zu. Fast seine ganze Familie kämpft in diesem Freiheitskrieg der Ukraine. Sein Vater und sein Stiefvater sind an einer der vielen Fronten im Gefecht. Seine Mutter und seine Schwester versorgen Verwundete in einem Feldlazarett. Seine Frau wartet zu Hause mit den Kindern und betet jeden Tag, dass Oleksandr eines nicht allzu fernen Tages gesund und unversehrt aus dem Krieg heimkehrt.

Wie geht man mit der Angst um, wenn man im Krieg, an der Front ist? Wenn man sieht und hautnah erlebt, wie Kameraden fallen, schwer verwundet werden? Wenn man eine Ahnung davon hat, wie schnell das Leben vorbei sein kann? „Natürlich haben wir Angst, alles andere wäre nicht normal”, sagt Panzermann Dmitri. „Aber nach dem ersten Schuss im Gefecht vergisst Du diese Angst. Dann geht es nur noch ums Überleben. Dann ist das Adrenalin stärker als die Angst.” Ein Zugführer, so wird erzählt, hat in diesen blutigen Wochen im Krieg um die Ukraine eine Lebenserwartung von zwei Wochen.

„Mit dem Leopard-Panzer und den Mardern haben die Ukrainer Vorteile auf dem Gefechtsfeld”, sagen die Ausbilder der Panzertruppenschule. Foto: DBwV/Yann Bombeke

Von den einstmals knapp 200 000 Mann der ukrainischen Berufsarmee, die sich am 24. Februar 2022 den russischen Invasionstruppen entgegengestellt haben, sind nicht mehr viele am Leben. Dmitri, Denis, Daniil und Oleksandr füllen die Reihen. Sie kennen den Krieg aus dem Donbas, aber der hier ist noch ein anderer. Hier geht es um mehr. „Es geht um das Leben und Überleben eines Volkes, meiner Familie. Wir wollen nicht mehr unter der russischen Knute leben.” Das war viel zu lange das Schicksal der Ukraine und von Millionen Toten, die unter diesem Joch ermordet wurden und verhungert sind.

Die Ukrainer setzen ihre Hoffnungen auf das moderne westliche Gerät, mit dem sie der russsichen Übermacht trotzen wollen - und auf die gute Ausbildung, die sie bei Partnern wie der Bundeswehr erfahren. Foto: DBwV/Yann Bombeke