Ein CH-53-Hubschrauber der Heeresflieger lädt am 30.7.1997 Sandsäcke in das abgesackte Teilstück am Oderdeich bei Hohenwutzen. Foto:dpa/Kay Nietfeld

Ein CH-53-Hubschrauber der Heeresflieger lädt am 30.7.1997 Sandsäcke in das abgesackte Teilstück am Oderdeich bei Hohenwutzen. Foto:dpa/Kay Nietfeld

Der größte Sieg der Bundeswehr

Bei der Oderflut vor 25 Jahren führt General a.D. Hans-Peter von Kirchbach 30.000 Soldaten in den Kampf gegen die Oderflut. Erinnerungen an Zusammenhalt und innere Einheit.

Von Frank Jungbluth
Gewaltige Wassermassen türmten sich auf, in Schlesien auf polnischem Territorium, und im Nachbarland Tschechien sind die Menschen auf der Flucht vor der Gewalt des Wassers: Fast 100 Menschen werden in den Nachbarländern nicht überleben, was man bis heute in Polen fast ehrfürchtig Powódz tysiaclecia, die Jahrtausendflut, nennt. Hans-Peter von Kirchbach, damals 1997 im Rang eines Generalmajors, erinnert sich, dass er im Urlaub war, als sich die Nachrichten verdichteten und die Ereignisse sich überschlugen. Starker Regenfall hatte die Gebirgsflüsse im Riesengebirge und im Altvatergebirge, heute in Tschechien, zu reißenden Strömen anschwellen lassen. Die alle münden in die Oder, die vom langen ruhigen Fluss zum reißenden Strom anschwellen wird.

Die Flutwelle schwappt bis nach Oberschlesien in Polen. Oppeln, die größte Stadt der Region ertrinkt komplett in der Oderflut. Am 8. Juli 1997 gibt das Land Brandenburg eine Hochwasserwarnung ab, am 14. Juli werden die ersten Menschen aus Frankfurt/Oder und den Nachbarkreisen evakuiert. In der Ziltendorfer Niederung, einer Flussaue nahe Brieskow-Finkenherd, bricht der erste Deich auf einer Länge von anfangs 70, später 200 Metern. Brandenburg steht vor einer Katastrophe, aber dann zeigt sich, wie wichtig es ist, wenn alle zusammen antreten, um Herr der Lage zu werden.

Fast bis zum Dach unter Wasser stehen Busse am 27.7.1997 in der vom Oderhochwasser überfluteten Thälmann-Siedlung nahe dem brandenburgischen Eisenhüttenstadt. Einige Orte in der Ziltendorfer Niederung stehen seit Tagen teilweise bis zu den Hausdächern in den Fluten. Insgesamt mußten in dem Gebiet 436 Menschen evakuiert werden, 1300 Helfer seien im Einsatz. Angesichts auslaufenden Öls aus Tanks und Fahrzeugen schloß ein Chemiker eine Gefährdung der Umwelt nicht aus. Foto: dpa/ Ralf Hirschberger

Fast bis zum Dach unter Wasser stehen Busse am 27.7.1997 in der vom Oderhochwasser überfluteten Thälmann-Siedlung nahe dem brandenburgischen Eisenhüttenstadt. Einige Orte in der Ziltendorfer Niederung stehen seit Tagen teilweise bis zu den Hausdächern in den Fluten. Insgesamt mußten in dem Gebiet 436 Menschen evakuiert werden, 1300 Helfer seien im Einsatz. Angesichts auslaufenden Öls aus Tanks und Fahrzeugen schloß ein Chemiker eine Gefährdung der Umwelt nicht aus. Foto: dpa/ Ralf Hirschberger

„Ich habe den Urlaub selbstverständlich sofort abgebrochen und bin in die Katastrophenregion gefahren“, erinnert sich General a.D. Hans-Peter von Kirchbach. Anfangs habe die Dimensionen der Flut noch unterschätzt. Aber schnell wird klar: Das wird eine große Sache. Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) rückt an die Oder an, Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) ist da, ebenso Umweltminister Matthias Platzek (SPD). Man kennt jetzt keine Parteien mehr, jetzt geht es darum, das Land vor der Flut zu schützen, Menschen und Tiere retten, das Schlimmste zu verhindern.

Generalmajor Hans-Peter von Kirchbach ist zum Zeitpunkt der Katastrophe Befehlshaber/Kommandeur Wehrbereichskommando VIII/14. Panzergrenadierdivision. Er packt an, alle packen an. Nur so ist es zu schaffen. „Mit großer Macht“, so beschreibt es Hans-Peter von Kirchbach, tritt die Bundeswehr gegen die Fluten an. Es wird geklotzt, nicht gekleckert. Fast 3000 Lkw, hunderte Panzer, Rad- und Kettenfahrzeuge, 60 Hubschrauber, Boote, alles, was schnell herangebracht werden kann, wird in Marsch gesetzt. Unvorstellbar ist mit Blick auf heute die Fülle des Materials. Mehr als 30.000 Soldaten sind bei der Oderflut im Einsatz, darunter viele Wehrpflichtige. „Das war ein großartiger Einsatz. Das war auch eine beeindruckende Manpower. Und der persönliche Einsatz jedes Einzelnen war beeindruckend. Die Soldaten sagten: Das ist unser Deich. Wir mussten die Soldaten beinahe zwingen, irgendwann die Ablösung nach vorne zu lassen. Niemand wollte weg vom Deich und die Menschen an der Oder im Stich lassen“, sagt der frühere Generalinspekteur der Bundeswehr.

Die Stabilisierung der Deiche gelingt. Alles hielt nach dem Einsatz der Bundeswehr im Oderbruch. „Und wir hatten zahlreiche kritische Lagen“, sagt von Kirchbach. Das wichtigste Einsatzziel erreicht man gemeinsam – die restlichen Deiche halten. Der Generalmajor richtet seinen Stab in Frankfurt/Oder ein. Morgenlage ist um 0700, dann fliegt Hans-Peter von Kirchbach über das Katastrophengebiet, um die Lage einschätzen zu können. Den Rest des Tages plant und organisiert der Kommandeur mit seinen Männern die Einsätze. Abends fliegt er wieder übers Hochwassergebiet, denn die Lage ändert sich stündlich. Der General ist Vorbild. Er besucht so viele Soldaten wie möglich jeden Tag an der „Oderfront“, macht Mut in den Gefechtsstreifen, wie die einzelnen Deich-Bereiche militärisch eingeteilt sind. Geführt und gegen das Wasser wird wie im Gefecht. Das ist die Stärke der Bundeswehr. Für Hans-Peter von Kirchbach ist es selbstverständlich, vorne bei den Männern zu sein, die Millionen Sandsäcke füllen und so die Deiche retten: „Nur so kann man führen“, sagt der heutige 81-jährige Offizier.

Beinahe nebenbei lässt General von Kirchbach alle Soldaten impfen, die im Einsatz sind. „Das Wasser war ja voller Keime. Aber auch das ist gelungen.“ Was kann die Bundeswehr heute zur vielbeschworenen Zeitenwende von dieser Zeit lernen, als man vor 25 Jahren gegen die Oderflut kämpfte? „Die Truppe ist heute nicht schlechter, als sie damals war. Die Fähigkeit ist vorhanden. Allerdings ist das mit der heutigen sehr reduzierten Truppenstärke schwerer, schnell Verbände in großer Stärke in den Einsatz zu bringen“, sagt von Kirchbach.

Pausenlos stapeln Bundeswehrsoldaten am 27.7.1997 in Frankfurt (Oder) Sandsäcke, um den künstlichen Deich an der Oder zu erhöhen. Die Hilfskräfte von Bundeswehr, Bundesgrenzschutz, Technischem Hilfswerk (THW) und der freiwilligen Feuerwehren arbeiten  im Hochwassergebiet Hand in Hand. Foto: dpa/Wolfgang Kumm

Pausenlos stapeln Bundeswehrsoldaten am 27.7.1997 in Frankfurt (Oder) Sandsäcke, um den künstlichen Deich an der Oder zu erhöhen. Die Hilfskräfte von Bundeswehr, Bundesgrenzschutz, Technischem Hilfswerk (THW) und der freiwilligen Feuerwehren arbeiten im Hochwassergebiet Hand in Hand. Foto: dpa/Wolfgang Kumm

„Ein Riesenvorteil, den wir damals hatten, war auch: Wir haben mit der Politik und den zivilen Behörden schnell vereinbart und darauf bestanden, dass es nur Sinn macht, wenn man die Bundeswehr ihren Fähigkeiten entsprechend einsetzt. Eine entscheidende Fähigkeit der Bundeswehr ist auch in zivilen Notlagen ihre Führungsfähigkeit. Man muss die Truppe konzentriert mit einem Auftrag und einer eigenen Führung einsetzen. Nur so kann man die Stärken der Bundeswehr am besten nutzen. Wir hatten damals 130 Kilometer Deich zu verteidigen. Es gibt keine zivile Organisation, die das kann“, sagt General a.D. Hans-Peter von Kirchbach.

Die Oderflut vor 25 Jahren bringt damals, das wiedervereinigte Deutschland war gerade sieben Jahre alt, Ost und West enger zusammen. Die Menschen in Brandenburg erleben, dass die Armee ihre Bundeswehr ist, dass Wehrpflichtige und Soldaten aus dem gesamten Bundesgebiet geschlossen gemeinsam helfen und so verhindern, dass Brandenburg untergeht. Es gibt keine Toten bei dieser Flut in Brandenburg. „Das war ein wertvoller Beitrag zur inneren Einheit“, weiß Hans-Peter von Kirchbach.