Vor 25 Jahren: Der KFOR-Einsatz der Bundeswehr beginnt
Es ist der längste Einsatz in der Geschichte der Bundeswehr: Seit einem Vierteljahrhundert sorgen deutsche Soldatinnen und Soldaten im Kosovo für Sicherheit. Der Krieg in der Ukraine hat auch die Spannungen auf dem Westbalkan verschärft.
Von Yann Bombeke
Berlin. Einige deutsche Soldaten hatten sicherlich ein mulmiges Gefühl im Bauch, als sie am 12. Juni 1999 ihre Feldlager in Mazedonien verließen und sich ihre Konvois mit gepanzerten Fahrzeugen der Grenze zum Kosovo näherten. Was würde sie dort erwarten? Hatten die jugoslawische Armee sowie die serbischen Sicherheitskräfte und Paramilitärs wirklich wie vereinbart den Rückzug aus der südserbischen Provinz angetreten?
Mehr als zweieinhalb Monate hatten die Luftangriffe der NATO auf Serbien angedauert, um den serbischen Machthaber Slobodan Milosevic zum Einlenken zu zwingen. Dessen Truppen waren seit 1998 immer brutaler gegen die albanische Bevölkerung im Kosovo vorgegangen. Kämpfe zwischen der kosovo-albanischen Guerilla-Bewegung UÇK und serbischen Sicherheitskräften führten dazu, dass immer mehr Menschen auf der Flucht waren. Nachdem sich die serbische Führung im März 1999 weigerte, den Vertrag von Rambouillet zu unterzeichnen, begannen die Luftangriffe auf Serbien und Kosovo – unter deutscher Beteiligung. Der Einsatz von Tornado-Kampfjets war der erste deutsche Kampfeinsatz seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Bis heute ist der NATO-Einsatz völkerrechtlich umstritten.
Mit dem Abkommen von Kumanovo einigten sich die NATO und Jugoslawien Anfang Juni 1999 auf den Abzug der serbischen Kräfte aus dem Kosovo und auf die Stationierung einer NATO-geführten Friedenstruppe in der Provinz unter UN-Mandat. Am 11. Juni 1999 stimmte der Bundestag mit großer Mehrheit dem Einsatz deutscher Kräfte im Kosovo zu. Insgesamt 505 Abgeordnete votierten für den Einsatz, lediglich 24 stimmten dagegen, 11 enthielten sich. Dem deutlichen Zuspruch für den gefährlichen Einsatz waren viele politische Streitigkeiten vorausgegangen. Insbesondere die Grünen, damals Partner der von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) angeführten Regierungskoalition, standen vor einer Zerreißprobe. Diese gipfelte am 13. Mai 1999 auf einem Sonderparteitag der Grünen in Bielefeld mit einer Farbbeutel-Attacke auf den damaligen Außenminister Joschka Fischer.
Entsprechend erleichtert zeigte sich Fischer bei der Bundestagsdebatte am 11. Juni – dies wahrscheinlich sowohl über das Ende der Kampfhandlungen als auch darüber, dass fast alle Abgeordneten seiner Partei für den Einsatz stimmten, bis auf einige wenige, die sich enthielten. „Die Waffen schweigen. Der Frieden im Kosovo ist jetzt, nachdem die VN-Sicherheitsratsresolution verabschiedet wurde, erreichbar; er ist in Sicht“, sagte Fischer und machte deutlich: „Deutschland hat mit seiner Beteiligung an den NATO-Luftschlägen eine große Verantwortung übernommen, gerade auch für die beklagenswerten zivilen Opfer und auch – das möchte ich hier betonen – für die unschuldigen zivilen Opfer auf serbischer Seite.“
Peter Struck, damals Fraktionsvorsitzender der SPD, sprach von der schwierigsten und gefährlichsten Aufgabe in der Geschichte der Bundeswehr. „Der Bundestag steht geschlossen hinter ihnen und ihren Familien. Wir wissen um die schwierige Aufgabe. Wir wissen um die Gefährdungen, die sie erwarten. Wir schicken sie nicht leichtfertig; wir teilen ihre Sorgen und Ängste“, sagte Struck, der drei Jahre später Verteidigungsminister werden sollte.
Einen Tag später begann mit der Operation Joint Guardian die Besetzung des Kosovo. Mehr als 6000 deutsche Soldaten setzten sich in Bewegung. Der Vormarsch der Bundeswehr verlief weitgehend reibungslos. Den mazedonisch-kosovarischen Grenzübergang Djeneral Jankovic hatten in den frühen Morgenstunden britische Truppen bereits überquert und gesichert. In Morina an der Grenze zu Albanien kam es jedoch zu einer Verzögerung: Entgegen dem vereinbarten Abkommen befand sich noch eine kleine Einheit serbischer Soldaten am Grenzposten.
Es war der Moment, in dem ein Bundeswehr-General internationale Bekanntheit erlangte. Vor laufenden TV-Kameras gewährte Brigadegeneral Helmut Harff dem kommandierenden serbischen Offizier eine Frist von 30 Minuten, um die Stellungen zu räumen. Der serbische Oberst versuchte, weiter zu verhandeln und auf Zeit zu spielen. Harff blickte nur auf seine Uhr und sagte: „Ende der Diskussion. Sie haben jetzt noch 28 Minuten.“ Die serbischen Soldaten zogen ab, der Bundeswehr-Konvoi passierte die Grenze.
Auch in Prizren, einer kleinen Stadt im Süden des Kosovos, in dem das Gros der deutschen Truppen stationiert werden sollte, waren noch nicht alle serbischen Soldaten abgezogen. Für die Bundeswehr waren diese ersten Stunden oft eine Gratwanderung: Auf der einen Seite die begeistert jubelnde kosovo-albanische Bevölkerung, auf der andere Seite fliehende Serben und vereinzelte sich provokativ verhaltende jugoslawische Armee-Einheiten und Paramilitärs.
Wie gefährlich diese ersten Stunden waren, zeigt auch das Schicksal zweier Journalisten des „Sterns“, die unweit von Prizren ermordet aufgefunden wurden. Gleich zu Beginn des Einsatzes geriet auch die Bundeswehr in einen Zwischenfall. In Prizren raste plötzlich ein Lada auf deutsche Soldaten zu, an Bord zwei offensichtlich betrunkene Serben, die das Feuer eröffneten. Die deutschen Soldaten schossen zurück, die Angreifer überlebten nicht.
In der Folge gelang es aber den deutschen Kräften in ihrem Sektor im Südwesten des Kosovo, für eine relative Ruhe und Stabilität zu sorgen, obwohl die Sicherheitslage immer wieder angespannt war, etwa, als die UÇK-Kämpfer ihre Waffen abgeben mussten. Auch war die Bundeswehr immer wieder bei Zwischenfällen zwischen den Ethnien gefordert, so im März 2004, als es bei dreitägigen Unruhen zu zahlreichen Übergriffen auf die serbische Minderheit kam.
Später wurde die Bundeswehr auch im Norden des Kosovo eingesetzt, Stützpunkt der deutschen Kräfte war das Camp „Nothing Hill“ in Novo Selo. Nördlich von Mitrovica, wo überwiegend Serben leben, kommt es immer wieder zu Gewalt. Auch deutsche Patrouillen wurden hier attackiert, Soldaten wurden verwundet.
Ende 2019 ging schließlich eine Ära zu Ende, als das Feldlager in Prizren aufgegeben wurde. Seitdem sind deutsche Soldaten im Kern im NATO-Hauptquartier in Prishtina im Einsatz. Zurzeit verrichten rund 300 deutsche Soldaten im Kosovo ihren Dienst, das aktuelle Mandat sieht eine Obergrenze von 400 Soldatinnen und Soldaten vor. Kein Vergleich zu den Spitzenzeiten, als die deutsche Mandatsobergrenze noch bei 8.500 Soldaten lag.
Doch der Frieden im Kosovo ist immer noch fragil. Serbien weigert sich nach wie vor, die Unabhängigkeit der Provinz anzuerkennen. Seit Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine wird zudem die Nähe serbischer Ultranationalisten zum russischen Putin-Regime immer wieder sichtbar. Im vergangenen Herbst griffen bewaffnete Kräfte, die mutmaßlich über die Grenze aus Serbien eingedrungen waren, kosovarische Polizisten im Norden des Kosovos an – ein Beamter starb. Später wurden drei der rund 30 Angreifer getötet, die kosovarischen Sicherheitskräfte fanden ein umfangreiches Arsenal an Waffen und Munition.
Undurchsichtig bleiben die Absichten des serbischen Präsidenten Aleksandar Vucic, der den Spagat zwischen Annäherung an die Europäische Union und pro-russischem Kurs versucht. Unbelastet ist Vucic nicht: Als Ultranationalist war er unter der Regierung von Slobodan Milosevic Informationsminister und maßgeblich an der Propaganda gegen Kosovo-Albaner und muslimische Bosniaken beteiligt.
Die NATO trägt den Spannungen im Norden des Kosovo Rechnung, indem sie die KFOR-Truppe verstärkt – auch mit zusätzlichen Truppen aus Deutschland. Ende April gab die Bundeswehr bekannt, dass eine neue Einsatzkompanie, 220 Frauen und Männer umfassend und aus drei Infanteriezügen sowie Unterstützungskräften bestehend, das deutsche KFOR-Kontingent verstärken soll. Diese Kräfte sollen die KFOR-Präsenz im Norden des Kosovo ausweiten. Im Krisenfall kann die Einsatzkompanie auch als Quick Reaction Force, als schnelle Eingreiftruppe, eingesetzt werden.